Konflikt-Region Wolhynien: Auge um Auge?

aus OWEP 1/2009  •  von Andrzej Brzeziecki

Andrzej Brzeziecki ist Chefredakteur der Zweimonatszeitschrift „Nowa Europa Wschodnia“ (Das neue Osteuropa; www.new.org.pl) und ständiger Mitarbeiter der Krakauer katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“.

Wolhynien (polnisch Wołyń, ukrainisch Волинь [Wolynj]; in österreichischer Zeit auch latinisiert „Lodomerien“) ist eine historische Landschaft an der Nordwestgrenze der heutigen Ukraine, deren Fläche z. T. dem heutigen Bezirk Wolynj in der Ukraine entspricht; kleine Teile liegen in Polen und Weißrussland. Der Name leitet sich vermutlich von Schloss Wołyń am Bug ab. Die Landschaft liegt im Einzugsgebiet des Bug und mehrerer Dnjepr-Nebenflüsse. Die größte Stadt ist Луцьк (Luzk, polnisch Łuck; ca. 200.000 Einwohner). – Seit dem Spätmittelalter gehörte die Region zu Polen-Litauen und fiel 1793 an das Russische Reich, ein kleiner Teil auch an Österreich. Im wiedererstandenen Polen (nach 1918) bildete Wolhynien eine eigene Woiwodschaft (ca. 36.000 km²: 1931: ca. 2 Millionen Einwohner, darunter 1,4 Millionen Ukrainer, 350.000 Polen, 210.000 Juden, Deutsche u. a.). Während des Zweiten Weltkriegs und danach veränderte sich jedoch die ethnische Zusammensetzung durch Massenmord und gezielte Aussiedlung fast vollständig.

In der Geschichte Wolhyniens gab es einen nationalen Konflikt zwischen Polen und Ukrainern, einen Konflikt zwischen Zentralgewalt und separatistischen Kräften, einen sozialen Konflikt (polnische Grundbesitzer gegen arme ukrainische Bauern), einen religiösen und einen ideologischen Konflikt (die Zweite Polnische Republik gegen den Kommunismus und später Faschismus gegen Kommunismus). Hinzu kommen noch die Weltkriege, insbesondere der Zweite Weltkrieg, der sich hier mit aller Abscheulichkeit auswirkte (das Gebiet war auch von Juden bewohnt), nationale Säuberungen und Aktionen zur Aussiedlung.

Schatten der Vergangenheit

Die von Ukrainern in Wolhynien während des Zweiten Weltkriegs durchgeführte antipolnische Aktion hat – wie jede derartige Erscheinung – ihre Wurzeln in der Vergangenheit, auch in der weiter zurückliegenden. Man muss hier jedoch nicht in die Zeit vor den Teilungen Polens zurückgehen, in der es die polnische Adelsrepublik trotz all ihrer Toleranz nicht vermochte, dem ruthenischen Volk (aus ihm entstand später die ukrainische Nation) die legitimen politischen Rechte zu garantieren und dadurch dessen Loyalität zu gewinnen. Genügen mag der Hinweis, dass Ursache für die Kämpfe im 20. Jahrhundert sowohl jene Staaten waren, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind (wie Polen, mit dessen Existenz sich weder die Deutschen noch die Bolschewiki abfinden mochten), als auch jene, die auf der Landkarte Europas fehlten (wie eben die Ukraine). Polen erstand nach 1918 wieder als eigener Staat, jedoch mit einer großen ukrainischen Minderheit. Die ukrainischen Nationalisten lernten seit Anfang des 20. Jahrhunderts Politik und Organisation von den Polen, wobei sie dieses Wissen bereits um eigene, auch antipolnische Losungen ergänzten. Dennoch waren die Ukrainer – trotz entsprechender Versuche – nicht imstande, einen eigenen Staat auf den Trümmern des Zarenreiches und des Habsburger Reiches zu errichten. Behindert wurden sie dabei auch von den Polen. Der damalige polnisch-ukrainische Konflikt in Galizien, dessen Symbol die dramatischen Kämpfe um Lwów/Lwiw/Lemberg im November 1918 wurden, war unlösbar. Dies war ein Zusammenstoß zweier gleichrangiger nationaler Rechtfertigungsgründe, aus dem die Polen als Sieger hervorgingen.

Chancen für eine andere Lösung brachte der polnisch-bolschewistische Krieg, als sich an der Seite der Polen und unter dem Befehl des bürgerlichen Nationalistenführers Semen Petljura jene Ukrainer zum Kampf erhoben, die sich zwar mit dem Verlust Lembergs abfinden mussten, aber damit rechneten, dass es ihnen gelingen werde, einen eigenen Staat mit der Hauptstadt Kiew zu errichten. Das war vereinbar mit der Vision Józef Piłsudskis, der danach strebte, Polen von Sowjetrussland durch einen Puffer unabhängiger Staaten zu trennen. Der Einmarsch polnischer und ukrainischer Truppen am 7. Mai 1920 in Kiew war der Höhepunkt dieses Bündnisses, zugleich aber auch schon der Schwanengesang. Einige Wochen später steckten diese Truppen in der tiefsten Defensive, und Polen wurde gezwungen, die eigene Hauptstadt Warschau im August 1920 zu verteidigen.

Im Verlauf der polnisch-sowjetrussischen Verhandlungen in Riga, die im März 1921 abgeschlossen wurden, war von einer unabhängigen Ukraine keine Rede mehr. Die bei Warschau geschlagenen Bolschewiki waren bereit, den Polen viel weiter nach Osten reichende Gebiete zu überlassen, aber unter den polnischen Unterhändlern setzte sich die Konzeption durch, nicht zu viele Gebiete an Polen anzugliedern, auf denen die Polen in der Minderheit lebten. Die Furcht vor den Minderheiten war verständlich; dennoch befanden sich auf sowjetischem Gebiet auch viele tausende Polen, die bald darauf ein Opfer der stalinistischen Repressionen werden sollten. Traurig war auch das Schicksal der Ukrainer, mit denen man in diesem Krieg verbündet gewesen war. Sie verloren den Krieg, wenngleich sie auf der Seite waren, die gewonnen hatte. Sie wurden in Polen interniert, Piłsudski selber bat sie um Verzeihung, aber diese Worte der Reue konnten ihren Schmerz nicht stillen. Petljura wurde 1926 in Paris von einem Sowjetagenten ermordet.

Minderheitenpolitik: zwei Konzeptionen

Polen befand sich einerseits zwischen zwei Staaten, die die Festlegungen des Versailler Vertrags revidieren wollten, und andererseits einer ukrainischen Minderheit, die einen eigenen Staat anstrebte. Die Zweite Polnische Republik kam mit diesem Problem nicht zurecht. Vereinfacht kann man sagen: In den polnischen Eliten kollidierten zwei Konzeptionen. Die erste war die der Nationaldemokraten, der zufolge man eine nationale Assimilation anstreben sollte, indem man die Ukrainer polonisierte und den Osten des Landes mit Polen besiedelte. Die zweite ging auf Piłsudski zurück und hob auf staatsbürgerliche Assimilation ab: Die Ukrainer sollten loyale polnische Staatsbürger unter Beibehaltung ihrer nationalen Besonderheit werden. Das Problem bestand darin, dass Piłsudski selber diese Politik nicht realisierte, nicht einmal nach seinem Mai-Umsturz im Jahre 1926, mit dem er in Polen die Fülle der Macht errang. Nach seinem Tod schmückten sich seine Nachfolger immer mehr mit nationalen Federn, und ihr Programm ähnelte in der Minderheitenpolitik immer mehr dem der Nationaldemokraten. Welche Politik auch immer Warschau jedoch gegenüber den Ukrainern betrieb, sie hätte zwei entschiedene Gegner gehabt: den russischen Bolschewismus und den ukrainischen Nationalismus. Die zwanziger Jahre waren in der Sowjetukraine eine Zeit nationalen Erwachens, und Moskau machte den Ukrainern umfassende Zugeständnisse, insbesondere im kulturellen Bereich. Gleichzeitig starteten die ukrainischen Kommunisten, die in den Ostgebieten der damaligen Polnischen Republik sehr aktiv waren, eine umfassende Propagandaaktion für eine Vereinigung der ukrainischen Nation im Rahmen der Sowjetukraine.

Für Warschau löste die Zeit das Problem. In den dreißiger Jahren drehte sich die Nationalitätenpolitik des Kremls um 180 Grad, die Väter der ukrainischen Wiedergeburt wurden in der Mehrzahl auf Befehl Stalins ermordet. Einen noch größeren Eindruck auf die in Polen lebenden Ukrainer machten die Nachrichten über die große Hungersnot in der Ukraine (1932-33). Den Rest erledigten die polnischen „Spezialdienste“, die es bis 1934 schafften, die ukrainischen Kommunisten im polnischen Staat zu zerschlagen.

Versöhnung nicht gefragt?

Es blieb jedoch die ukrainische Nationalbewegung, die ab 1929 die formelle Bezeichnung „Organisation der Ukrainischen Nationalisten“ (OUN) trug. Für diese Organisation stellten die Polen ebenso wie die zu einem Kompromiss und zur Verständigung neigenden Ukrainer eine Bedrohung dar. Ziel der OUN war es, einen eigenen Staat zu erhalten, nicht aber Rechte und Freiheiten im Rahmen der Zweiten Polnischen Republik. Daher fielen sowohl polnische Staatsbeamte, die mit der ukrainischen Bewegung sympathisierten, als auch ukrainische politisch und gesellschaftlich aktive Personen terroristischen Anschlägen der OUN zum Opfer. So starb zum Beispiel im August 1931 bei einem Attentat der polnische Abgeordnete Tadeusz Hołówko, ein Mitarbeiter Piłsudskis und Befürworter von Gesprächen mit den Ukrainern. 1934 fiel Innenminister Bronisław Pieracki einem Anschlag zum Opfer. Beide Vorfälle führten zu einer Verschärfung des polnischen Kurses gegenüber den Ukrainern – und genau darum ging es den ukrainischen Nationalisten: Warschaus repressive Politik bewirkte, dass der bisher passive Teil der ukrainischen Bevölkerung sich den Nationalisten zuwandte.

In den dreißiger Jahren betrat ein weiterer Akteur die Bühne des Konflikts, der einige Jahre später eine erstrangige Rolle spielen sollte: Deutschland. Die OUN arbeitete mit der deutschen Abwehr zusammen und hatte Niederlassungen in Gdańsk/Danzig und Sopot/Zoppot. Die Deutschen sahen im ukrainischen Nationalismus ein ausgezeichnetes Instrument, um Polen zu destabilisieren.

Das größte Paradox der Geschichte ist die Tatsache, dass es zu polenfeindlichen Aktionen auf Gebieten kam, auf denen die Republik Polen sich mit einer liberalen Politik gegenüber den Ukrainern versuchte. Diese Politik war nicht konsequent und wurde auch nicht die ganzen zwanzig Jahre der Zwischenkriegszeit über durchgehalten; dennoch war sie ein Vorschlag zur Lösung des Problems. Zu ihrem Symbol wurde der Woiwode für Wolhynien, Henryk Józewski. Er glaubte daran, dass man die Ukrainer für die polnische Sache gewinnen könnte, und versuchte, ihnen auf vielen Gebieten Autonomie zu gewähren. Die als „wolhynisches Experiment“ bezeichnete Politik war ein Ereignis in europäischem Maßstab. Diese Politik hatte jedoch aus heutiger Perspektive betrachtet einen Hauptfehler: Sie ging davon aus, dass man den ganzen Prozess der staatsbürgerlichen Assimilation der Ukrainer von oben steuern könne, und ließ für eine echte ukrainische Selbstständigkeit nicht viel Raum.

Ohnehin wurde Józewski bald zu einer bei den ukrainischen Nationalisten verhassten Gestalt (er habe „die Trennungslinien verwischt“), aber auch bei den Polen, die ihm übermäßige Ukrainophilie, Vernachlässigung, ja geradezu Verrat polnischer Interessen vorwarfen. Nach einigen Jahren politischer Tätigkeit gab Józewski seinen Posten auf und wurde ins Landesinnere versetzt. Wenn man die Periode der Zweiten Polnischen Republik bilanziert, so muss man feststellen, dass die Warschauer Politik damals – mit geringen Ausnahmen – antiukrainisch war. Die ukrainische Minderheit war Repressionen ausgesetzt, und Polen respektierte die internationalen Festlegungen über Minderheiten nicht. Damals wuchsen auch schon die zukünftigen Beteiligten am ukrainischen Partisanenkampf heran; Polen selbst hatte sie erzogen.

Józewski und andere Politiker aus dem Wirkkreis von „Prometheus“ (einer Organisation, die es sich zum Ziel setzte, die von der UdSSR versklavten Völker zu unterstützen) glaubten, die in Wolhynien propagierten Ideen würden Ausstrahlungskraft gewinnen und es dereinst den Ukrainern ermöglichen, für einen eigenen Staat zu kämpfen. Die ukrainischen nationalen Ansprüche sollten sich gegen die Sowjets richten. Es kam anders. Die Schneide des ukrainischen Nationalismus wandte sich gegen die Polen.

Enttäuschte Hoffnungen

Der Zweite Weltkrieg, insbesondere die deutsche Offensive gegen die UdSSR im Jahre 1941, ließ die Ukrainer neue Hoffnungen auf einen eigenen Staat schöpfen – diese Erwartungen wurden von den Deutschen geschickt genährt, bald jedoch zum Erlöschen gebracht: Als die ukrainischen Nationalisten 1941 gleich nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Lemberg einen eigenen Staat ausriefen, wurden die Mitglieder dieser Regierung von den Deutschen verhaftet. Die Ukrainer wussten bereits, dass keinerlei internationales Abkommen ihnen helfen würde, wenn sie nicht aus eigener Kraft ihre Rechte auf das Land bezeugten. 1942 entstanden die Partisanenstrukturen der OUN, die unter dem ihnen später gegebenen Namen Ukrainische Aufständischen-Armee (UPA) in die Geschichte eingehen sollten. Die Reihen der Partisanenarmee wurden verstärkt durch Funktionäre der von den Deutschen geschaffenen Hilfspolizei – dazu gehörten auch die Mitglieder der Bataillone „Roland“ und „Nachtigall“, militärische Einheiten, die unter dem Patronat des Dritten Reiches entstanden waren. 1943 errangen die Anhänger Stepan Banderas die Kontrolle über die in verschiedene Fraktionen zersplitterte OUN; oft verübten sie Gewalttaten an Ukrainern selbst, und nicht selten liquidierten sie Führer anderer Fraktionen.

Um den Jahreswechsel 1942/1943 reifte unter den ukrainischen Nationalisten der Gedanke an eine Vernichtung der polnischen Bevölkerung in Wolhynien. 1943 ging die Kontrolle über Wolhynien de facto aus deutschen in ukrainische Hände über. Die OUN genoss die Unterstützung der Bevölkerung sowie der örtlichen Verwaltung. Zu dieser Zeit waren die Deutschen schon auf der Verliererstraße, und dies war der Aufmerksamkeit der Führer von OUN-UPA nicht entgangen. Mit Blick auf die Geschichte konnten sie erwarten, dass die Grenzen der zukünftigen Staaten sich sowohl unter Kämpfen als auch unter Anwendung von Plebisziten herausbilden würden. Ihrer Ansicht nach sollte die Zugehörigkeit Wolhyniens zur Ukraine keiner Diskussion ausgesetzt sein. Leider begriffen sie nicht, dass auch der zukünftige Sieger des Krieges, Josef Stalin, keine Diskussion vorsah und dass er es war, der die Grenzen in diesem Teil Europas vorgab. Die Ukrainer forderten also die Polen auf, die Gebiete zu verlassen, gleichzeitig gingen sie zu gut vorbereiteten bewaffneten Aktionen über.

Auge um Auge: das Gemetzel

Man weiß nicht genau, wann die Entscheidung über die Ausrottung der Polen fiel. Der erste Überfall auf polnische Bewohner, bei dem 50 Menschen starben, ereignete sich am 13. November 1942 im Dorf Obórki. Von Anfang Februar 1943 bis Juli 1944 starben etwa 100.000 Polen, allein in Wolhynien ungefähr 50.000. Die antipolnische Aktion in Wolhynien erreichte ihr größtes Ausmaß am 11. Juli 1943. Die zur UPA gehörenden Ukrainer fielen an diesem Tag über fast 100 Ortschaften her. Wenngleich ein Befehl der UPA von einer Liquidierung der Bevölkerung zwischen dem 16. und 60. Lebensjahr sprach, so unterschieden die Angreifer nicht zwischen Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen. An den Überfällen waren auch einberufene ukrainische Bauern beteiligt, die mit Forken und Äxten bewaffnet waren. Schilderungen jener Ereignisse kann man auch nach vielen Jahren nicht ohne Entsetzen lesen. Der polnische Untergrundstaat verbot Vergeltungsaktionen, war aber nicht immer imstande, sie zu verhindern. So starben in den Kämpfen zwischen Polen und Ukrainern auch etwa 10.000 Ukrainer. Abteilungen der polnischen bürgerlichen Untergrundarmee AK oder daraus hervorgegangene Gruppierungen verübten Mordtaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung im Vorkarpatengebiet, zum Beispiel im Frühjahr 1945 in Pawlokom. Es sollte aber auch daran erinnert werden, dass sich auf beiden Seiten Menschen fanden, für die diese Mordaktionen eine Schande waren. Mancher Ukrainer rettete, häufig unter Einsatz des eigenen Lebens, polnischen Mitbürgern das Leben, sei es auch nur dadurch, dass er sie über eine bevorstehende Aktion informierte.

Dieser Konflikt kam den Deutschen ebenso gut zupass wie den vorrückenden Sowjets, die voll Zufriedenheit sahen, wie zwei fremde, ihnen feindlich gesinnte Elemente sich gegenseitig vernichteten. Das Geschehen in Wolhynien war für die Deutschen kein Geheimnis. Bereits am 13. Juli 1943 berichtete die deutsche Gegenspionage, dass die Ukrainer eine Politik der Liquidierung (deutsch wörtlich „Ausrottung“) der polnischen Bevölkerung betrieben. Die Deutschen trieben ein böses Doppelspiel: Einerseits benutzten sie Einheiten der ihnen unterstehenden, aus dem Generalgouvernement herangeführten polnischen Polizei, um ukrainische Dörfer zu pazifizieren. Andererseits hetzten sie die Ukrainer dazu auf, mit den Polen abzurechnen – und veröffentlichten gleichzeitig in der Presse Fotos ermordeter Polen. Das drehte die Spirale des wechselseitigen Hasses nur noch höher. Vor einigen Jahren sagte der polnische Historiker Ryszard Torzecki in einem Interview der Zeitung „Gazeta Wyborcza“: „Man kann fragen, wer mehr Verantwortung trug. Meiner Meinung nach jener, der die Macht hat. Vor dem Krieg waren das die Polen, im Krieg die Sowjets und die Deutschen.“

Die Aktion „Wisła“

Wie der Zweite Weltkrieg endete und was aus den Plänen der ukrainischen Nationalisten wurde, ist nur zu gut bekannt. Heute wird in der Ukraine eine heftige Diskussion darüber geführt, ob Mitglieder der UPA den Namen von „Veteranen“, also von patriotischen Kriegsteilnehmern verdienen, denn für die Hälfte der Ukrainer waren sie lediglich Bundesgenossen der deutschen Faschisten. Nach dem Krieg wurde die Ukraine zur Sowjetrepublik, zu der nun auch Wolhynien gehörte. Polen errang erneut seine Unabhängigkeit, wenngleich es kein souveränes Land war. Eine der ersten Entscheidungen, die mit Billigung Moskaus getroffen wurde, war die Aussiedlung der Ukrainer aus den Ostgebieten des neuen Polens in seine Westgebiete, aus denen man gerade die Deutschen vertrieben hatte. Die polnische Aktion „Wisła“ (Weichsel) – unter diesem Namen verliefen diese Deportationen – bedeutete eine Verfolgung der Ukrainer. Denn hier wandte man das Prinzip der kollektiven Verantwortung an. Das Argument einer vorgeblichen Bedrohung durch die UPA diente nur der Propaganda. Im Frühjahr und Sommer 1947, auf dem Höhepunkt der Aktion „Wisła“, stellte die UPA keine reale Kraft mehr dar.

Und heute?

Der polnisch-ukrainische Konflikt aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergiftete die Beziehungen zwischen beiden Völkern für lange Jahrzehnte. Dennoch hatten die Polen sowohl in Zeiten des Kommunismus als auch in den letzten Jahren größere Möglichkeiten, über die schmerzhafte Geschichte zu diskutieren, zuerst im Rahmen der illegalen Untergrundpresse und in der Emigration, nach 1989 in auflagenstarken Zeitungen und über Bücher. Die Ukrainer hingegen haben ihre eigene Geschichte bisher noch nicht bewältigt. Sie brauchen noch Zeit, bis sie bereit sein werden, über die Beziehungen zu anderen Völkern zu diskutieren.

Von radikalen Gruppierungen abgesehen, die es leider in jedem Land gibt, sind die polnische Gesellschaft und die polnischen Eliten glücklicherweise in der Lage, sich tolerant zu zeigen. Für die Polen diente als Muster zur Lösung historischer Konflikte die französisch-deutsche Versöhnung. Auch sollte man daran denken, dass es gerade Polen war, das als erstes Land 1991 die unabhängige Ukraine anerkannte.

Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.