Jugend in Kroatien: Religiosität, Herausforderungen, Probleme

aus OWEP 2/2016  •  von Krunoslav Novak

Dr. Krunoslav Novak ist Theologe und Kommunikationswissenschaftler. Nach seiner Promotion am Salesianum in Rom ist er seit 2013 an der Kroatischen Katholischen Universität in Zagreb als Post-Doc tätig.

Zusammenfassung

Die kroatische Gesellschaft steht ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kommunismus und dem Beginn der staatlichen Unabhängigkeit noch immer vor zahlreichen Herausforderungen. Auch in der jungen Generation sind Zukunftsängste, wie entsprechende Umfragen belegen, weit verbreitet. Hinsichtlich ihrer religiösen Einstellung sind die jungen Kroaten nach wie vor recht stark in der katholischen Tradition verankert, wobei die Mehrzahl die Religionsausübung allerdings als Privatsache ansieht.

Einführung

Hinsichtlich der Religiosität von Jugendlichen1, die im Fokus dieser Überlegungen steht, lässt sich in Kroatien der Übergang von einer traditionellen Gesellschaft, in der das Sakrale präsent war, hin zu einer säkularen beobachten, mit allen Folgen, die dieser Übergang mit sich bringt. Die moderne Gesellschaft bietet nicht die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung einer stabilen Identität, und das gilt für die gesellschaftliche Identität ebenso wie für die religiöse. „Die moderne Gesellschaft toleriert einerseits Religion und religiöse Selbstbestimmung, aber sie marginalisiert sie auch immer mehr in die Privatsphäre des Einzelnen, weil sie sie für inkompetent in Bezug auf verschiedene Probleme des Lebens hält. Religiös zu sein wird als etwas völlig Normales betrachtet, etwas, das einen Wert an sich hat, das für alles andere unnütz ist.“2

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Kroatien zu Jugoslawien (und damit zur kommunistischen Welt), doch waren die Jugendlichen schon seit den 1970er-Jahren deutlich hin zu den Gewohnheiten und Bräuchen der westlichen Welt orientiert. Die Jugendlichen Kroatiens verfolgten die Trends ihrer Altersgenossen in Westeuropa, unter Bewahrung einer gewissen Spezifik, die durch den Kontext bestimmt war, in dem sie lebten. Kroatien wurde 1991 unabhängig, aber um bestimmte Charakteristika der kroatischen Gesellschaft zu verstehen, dürfen die Folgen von fünfzig Jahren kommunistischem Totalitarismus nicht ignoriert werden. Auch wenn die heutigen Jugendlichen nach dessen Ende geboren wurden, so wurden doch ihre Eltern und Erzieher genau in dieser Zeit geboren und sind damals aufgewachsen, als es keine freie Meinungsäußerung gab und der Zugang zu Informationen streng begrenzt war. Daher erleben auch die heutigen Eltern die Erfahrung der Meinungsfreiheit zum ersten Mal gemeinsam mit ihren Kindern. Zur Erklärung der Lage der heutigen Jugend in Kroatien muss also auch die historische, politische und gesellschaftliche Lage des Landes in den letzten 25 Jahren in Betracht gezogen werden. Der Krieg um die kroatische Unabhängigkeit hatte verschiedene Folgen, die noch immer sichtbar sind: eine große Zahl von Vertriebenen aus Bosnien und Herzegowina, die nach Kroatien umgesiedelt sind; viele Familien ohne Väter, die im Krieg umgekommen sind; andere sind invalide oder haben schwer psychische Traumata erlebt; die wirtschaftlichen Folgen des Krieges haben das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung beeinflusst.

Außer dem wirtschaftlichen Risiko muss festgehalten werden, dass die Globalisierungsprozesse auch Herausforderungen und Probleme mit sich bringen, die allen jungen Europäern gemeinsam sind.3 Auch wenn die kroatische Gesellschaft nach dem Jahr 2000 im Vergleich zum Zeitraum während der gesellschaftlichen Transformation stabiler geworden ist, lässt sich sagen, dass die Jugendlichen weiterhin in einer Gesellschaft aufwachsen, in der es sowohl Ungewissheit als auch Unsicherheit im Hinblick auf die Zukunft gibt, denn all die Themen, die aus dem Globalisierungsprozess kommen und die den Jugendlichen in den westeuropäischen Ländern zu eigen sind, betreffen auch die Jugend in Kroatien. Aber die Jugendlichen In Kroatien sind angesichts der genannten Probleme zusätzlich belastet, weil diese in den entwickelteren Teilen Europas nicht so stark zum Ausdruck kommen. Das resultiert in ihrer größeren Hinwendung zum Privaten und ihrer Distanz zu gesellschaftlichem und politischem Engagement.

Bedürfnisse und Sorgen der Jugend

Verschiedene Untersuchungen an Jugendlichen, die in Kroatien durchgeführt wurden, zeigen die Probleme und Schwierigkeiten, die die jungen Leute betonen.4 Das sind vor allem die Sorge um die Zukunft, das Fehlen gesellschaftlicher Strukturen, Probleme im Zusammenhang mit der Ausbildung, spezifische Probleme vor Ort, Schwierigkeiten wegen der Gleichgültigkeit der Erwachsenen gegenüber den Problemen der Jugend, Unzufriedenheit mit sich selber, Beziehungsprobleme, Existenzkrise, Suchtprobleme, Probleme in den Familienbeziehungen und Unzufriedenheit mit den Altersgenossen.

In einer Untersuchung, die mit Mittelschülern des Bistums Varaždin 2010 durchgeführt wurde, waren die meisten Befragten der Meinung, dass folgende Probleme den größten Einfluss auf die Probleme der Jugend nähmen: schlechte Gesellschaft, Familienkrise, tägliche Frustration, Fehlen von Vorbildern und Mangel einer Perspektive für die Zukunft.5 Solche Überlegungen sind eine Folge davon, dass die moderne Gesellschaft den heutigen Jugendlichen tatsächlich keine sichere Stütze für eine erfolgreiche Zukunft bietet, weshalb viele junge Menschen die Frage nach der Zukunft mit Angst und Unsicherheit verbinden. Sie sind mit den Folgen der Krise der modernen Gesellschaft konfrontiert, die zunächst einen Sinnverlust zur Folge hat, der dann zu Utilitarismus und Indifferenz führt. Heute ist die Jugend immer noch in vielen Gesellschaften am Rande der gesellschaftlichen Interessen, sodass sie gleichzeitig Opfer und Ankläger der modernen Gesellschaft wird. „Einst träumten die Jungen von einer neuen, gerechteren und freieren Gesellschaft, und heute träumen sie anscheinend nicht mehr, denn die Gesellschaft kann und will ihnen nichts Besseres anbieten.“6

Die heutige Jugend zeigt nach den Ergebnissen einer in ganz Kroatien durchgeführten Umfrage von 2013 einen abnehmenden Optimismus hinsichtlich der Einschätzung der Zukunft und der Frage, ob diese für sie in persönlicher Hinsicht besser werden kann als die Gegenwart. Optimismus lässt sich feststellen im Vertrauen auf die Bedeutung von Bildung, die die Jugendlichen als zuverlässiges Mittel für die Verwirklichung ihrer privaten, beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Bedürfnisse und auch der Interessen des Einzelnen betrachten. Bildung ist verbunden mit der Möglichkeit einer besseren Kommunikation mit der Welt, einem rascheren Aufstieg am Arbeitsplatz und der Möglichkeit, eine besser bezahlte Arbeit zu finden; doch gleichzeitig glauben sie nicht, dass man mit einer besseren Ausbildung leichter einen Arbeitsplatz finden und höheren gesellschaftlichen Einfluss erlangen kann. Wenn von Erfolg in der Gesellschaft die Rede ist, sind die meisten Jugendlichen der Meinung, dass das mit Geschick und guten Beziehungen mehr als mit der Fähigkeit des Einzelnen zu tun hat. Wenn von Qualitäten die Rede ist, die ihnen helfen werden, eine gute Arbeit zu finden, dann glauben die Jugendlichen, dass an erster Stelle gute kommunikative Fähigkeiten stehen, dann Fachqualifikation, die Kenntnis von Fremdsprachen und Allgemeinbildung. Doch herrscht auch weiterhin Unsicherheit unter ihnen, und sie betrachten die Arbeitslosigkeit als das größte Problem der kroatischen Gesellschaft, dann folgen Bestechlichkeit, Korruption und Wirtschaftsprobleme. Nach der Lösung dieser Probleme befragt, setzen die Jugendlichen ihr Vertrauen vor allem auf Fachleute und Intellektuelle, dann auf die Jugendlichen selber, das heißt auf ihre eigene Generation, und danach auf Politiker und Parteien.

Die Religiosität der Jugendlichen

In diesem Teil werden wir uns auf die Inhalte konzentrieren, die sich aus einer 2015 durchgeführten Untersuchung mit Mittelschülern in Kroatien im Rahmen des Projekts „Religion und Menschenrechte“ ergeben. Der Begriff der Religiosität ist sehr komplex, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich der Frage anzunähern. In diesem Kontext werden wir uns auf die Konzepte von Religiosität beschränken, wie sie Gordon W. Allport definiert hat, nämlich Religiosität als relativ stabiles Element der Person einschließlich affektiver und kognitiver Faktoren. Allport betont, dass die Wurzeln der Religiosität komplex, zahlreich und unterschiedlich sind, sodass ihr Einfluss auf das Leben des Einzelnen so verschieden ist, dass sich der Begriff der Religiosität kaum standardisieren lässt. Doch hat er eine Redeweise über Religiosität durch die Art der Manifestation des religiösen Gefühls vorgeschlagen, die auf zwei Ebenen stattfinden kann: extrinsisch (von außen) und intrinsisch (innen).7 Extrinsische Religiosität bedeutet danach die Nutzung von Religion als Mittel zur Verbesserung des Status in der Gesellschaft und nicht selten zum Erreichen egoistischer Ziele. Religion ist in diesem Sinne nützlich, insofern sie dem Einzelnen für seine persönlichen Ziele nützlich ist.8 Es geht also um eine Religiosität, die nicht aus Überzeugung gelebt wird und die kein Ziel in sich selbst hat. Außer den erwähnten Motiven, außer einer opportunistischen Haltung kann sie auch die sein, die der Einzelne für sich ergreift, um seine psychosoziale Entwicklung zu verbessern, als Hilfe in der Interpretation des eigenen Verhaltens und der eigenen Positionen.

Intrinsische Religiosität erkennt Religiosität als Wert in sich, sie ist das wichtigste Ziel im Leben. Es handelt sich um Religiosität als Lebensgestaltung, bei der die Person die eigenen Interessen überwindet und Demut favorisiert. Eine solche Religiosität leben Menschen, die das Prinzip des Genusses überwunden haben, das heißt die unmittelbare Erfüllung eines jeden Bedürfnisses. Im Leben des Einzelnen lassen sich gewöhnlich Elemente beider Arten von Religiosität beobachten.9 Daher ist es schwierig auszumessen und genau zu bestimmen, welche Dimension von Religiosität bei einzelnen Menschen vorherrscht.

Wir konzentrieren uns deshalb auf jene Elemente, die uns auf Grundlage der genannten Untersuchung wenigsten ein allgemeines Bild dessen bieten, wie sich junge Menschen heute in Kroatien zur Religion verhalten. Wie wir sehen werden, zeigt diese Untersuchung, dass die Gegenwart traditioneller Werte sehr deutlich wahrzunehmen ist, wie es auch die bereits genannte Untersuchung von 2013 gezeigt hat. Beim Vergleich der Ergebnisse mit früheren Umfragen zeigt sich ein Anstieg der Akzeptanz traditioneller Werte wie Familie, Ehe, Glaube und Nationalität.10

Von den Befragten erklärten sich 85,2 Prozent als Katholiken, 4,3 Prozent als Angehörige einer anderen Religion und 9,8 Prozent als nicht religiös. Dass es Gott oder etwas Göttliches gibt, glauben fest oder einigermaßen fest 69,7 Prozent der Befragten, während 20,6 Prozent das eher nicht oder kaum glauben und 6,3 Prozent der Befragten nicht an die Existenz Gottes oder von etwas Göttlichem glauben. Immerhin 32,3 Prozent der Jugendlichen besuchen wöchentlich die Kirche zum Gottesdienst, während 49,9 Prozent einmal im Monat oder seltener gehen und 15,8 Prozent überhaupt keine kirchlichen Feiern besuchen. Interessant ist auch, dass 45,1 Prozent der jungen Menschen täglich beten, 18,5 Prozent einmal in der Woche, 21,4 Prozent der Befragten einmal im Monat oder noch seltener, und 10,6 Prozent beten überhaupt nicht. Der Aussage, dass ihre Religion oder Weltanschauung großen Einfluss auf ihren Alltag haben, stimmen 51,1 Prozent der Befragten zu, 28,4 Prozent sind nicht sicher und 17,8 Prozent sind nicht einverstanden.

Vom Fußballplatz in den Beichtstuhl (Foto: Matthias Kneip)

Diese wenigen Angaben lassen ahnen, dass im Leben der heutigen Jugend in Kroatien die Religiosität eine sehr wichtige Stelle einnimmt. Auch wenn relativ viele Jugendliche behaupten, am Leben ihrer Glaubensgemeinschaft teilzunehmen, lässt sich jedoch erkennen, dass sie die Religiosität im Privatbereich des Lebens ansiedeln. Diese Angabe betont mehr einen intrinsischen Zugang zur Religiosität, und tatsächlich sind weniger von ihnen der Meinung, dass die Religion einen gesellschaftlichen Einfluss haben soll. Denn während einerseits 51 Prozent angeben, dass sie eine Erfahrung der Verbindung mit Gott haben, sind nur 23,8 Prozent von ihnen der Meinung, dass die Religionen einen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gesellschaftlichen Fragen ausüben sollten. Doch schreiben sie der Rolle von Religion eine viel wichtigere Bedeutung zu (54,1 Prozent), wenn es um die soziale Dimension geht, also etwa um die Sorge für Rechtlose. Wenn von der gesellschaftlichen Rolle der Religion die Rede ist, lässt sich außerdem noch anführen, dass 48,8 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass die Religionen und der Staat die Verantwortung für die Bewahrung der Nationalkultur teilen sollen.

Schlussfolgerung

Die Situation von Jugendlichen in Kroatien drückt heute sicher die Situation der gesellschaftlichen Dynamiken aus, die immer noch eine gewisse Instabilität in den Übergangsprozessen zum Ausdruck bringen. Die Jugend ist heute mehr als früher bereit, sich ins Private zurückzuziehen, auch wenn sie glaubt, dass ihre Generation in der Lage ist, auf gesellschaftliche Veränderungen Einfluss zu nehmen. Es trifft zu, dass es in Kroatien keine organisierte Mitwirkung von Jugendlichen bei der Lösung konkreter gesellschaftlicher Fragen und Probleme gibt, und wo es sie gibt, ist das meistens im Rahmen von Organisationen, die von Erwachsenen geleitet werden.

Die im Vergleich zu früheren Zeiten vergrößerte Ausrichtung auf den Glauben stellt die Jugendlichen mehr in die Privatsphäre, denn in der Gesellschaft wird Religiosität in diesen Bereich des Lebens verschoben. Doch gibt es auch bestimmte Initiativen, in denen einzelne Gruppen von Jugendlichen frei ihre Meinung zeigen und ihre Religiosität als Impuls für gesellschaftliches Engagement ausdrücken.

Aus dem Kroatischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnote:


  1. Unter dem Begriff „Jugend“ werden hier Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren verstanden. ↩︎

  2. Valentina Mandarić: Mladi – integrirani i(li) marginalizirani. Zagreb 2009, S. 135. ↩︎

  3. Vgl. Vlasta Ilišin, Furio Radin (Hrsg.): Mladi: Problem ili resurs. Zagreb 2007, S. 267. ↩︎

  4. Dazu gehören Valentina Mandarić: Religiozni identitet zagrebačkih adolescenata. Zagreb 2000; Ivana Ferić: Univerzalnost sadržaja i strukture vrijednosti. In: Društvena istraživanja 16 (2007), H.1-2, S. 12-21; Inga Tomić-Koludrović, Anči Leburić (Hrsg.): Skeptična generacija. Zagreb 2001; Vlasta Ilišin, Furio Radin (Hrsg.): Mladi uoči trećeg tisućljeća. Zagreb 2002; Renata Franc, Ines Sučić, Vlado Šakić: Vrijednosti kao rizični i zaštitni čimbenici socijalizacije mladih: In: Diacovensia 1-2 (2009), S. 135-146; Vlasta Ilišin, Vedrana Spajić Vrkaš: Potrebe, problemi i potencijali mladih u Hrvatskoj, Istraživački izvještaj. Zagreb 2015. ↩︎

  5. Vgl. Krunoslav Novak: Identità religiosa dei giovani. Comunicazione massmediale e interpersonale quali fattori di influenza nella costruzione di identità. Una ricerca sui giovani nella diocesi di Varaždin in Croazia. (Diss.). Rom 2012, S. 230. ↩︎

  6. Mandarić, Mladi (wie Anm. 2), S. 57. ↩︎

  7. Vgl. Gordon W. Allport: L'individuo e la sua religione: interpretazione psicologica. Brescia 1972, S. 71 f. ↩︎

  8. Ebd., S. 268. ↩︎

  9. Vgl. Luigi Silvano Filippi: Le basi psicodinamiche del fanatismo religioso. In: International Journal of Psychoanalysis and Education 1 (2009) 1, S. 134. ↩︎

  10. Vgl. Ilišin, Vrkaš, Potrebe (wie Anm. 4), S. 23. ↩︎