Aufbruchsstimmung bei der Serbischen Orthodoxen Kirche in Deutschland

aus OWEP 1/2022  •  von Miodrag Sorić

Miodrag Sorić (geb. 1960) studierte Slawistik, Politikwissenschaft und Germanistik in München, Köln und Moskau. Er ist seit 1988 Mitarbeiter der Deutschen Welle. Von 1999 bis 2001 leitete er die Hauptabteilung Osteuropa des Senders, von 2001 bis 2009 war er als Chefredakteur für den Hörfunk und die Onlineprogramme verantwortlich, danach als Auslandskorrespondent in Washington und Moskau tätig. Seit 2019 ist er Chefkorrespondent der Deutschen Welle.

Zusammenfassung

Für die Serben außerhalb ihrer Heimat ist die Serbische Orthodoxe Kirche in der Diaspora mehr als nur ein geistlicher Ort. Sie bietet auch Raum zur Wahrung der kulturellen Identität und bemüht sich, die Gläubigen bei der nicht immer leichten Integration in einem fremden Land zu unterstützen. Beispielhaft ist die Situation in Deutschland.

„Es vergeht keine sonntägliche Liturgie, bei der ich nicht ein halbes Dutzend neuer Gesichter sehe“, freut sich Bischof Grigorije (Durić) im Gespräch mit OWEP. Viele seiner rund 80 Gemeinden in der Diözese wachsen rasant, beobachtet das geistliche Oberhaupt der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) in Deutschland. Besonders groß sei der Zulauf in München, Stuttgart, Düsseldorf, Berlin und Frankfurt am Main.

Bischof Grigorije (Copyright: SOK)

Zur SOK in Deutschland gehören sehr viel mehr Menschen als nur die mit einem serbischen, montenegrinischen, mazedonischen, bosnischen oder kroatischen Pass. Tausende serbische orthodoxe Christen leben bereits in der dritten oder vierten Generation in Deutschland. Meist sind es Nachfahren der Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg hierherkamen, oder Kinder jener Gastarbeiter, die zu Zehntausenden in den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland Geld verdienen wollten. Geplant war, nur für ein paar Jahre zu bleiben – viele blieben aber für immer. Hunderttausende Serben flohen in den 1990er Jahren vor den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Herzegowina oder Kosovo. „Es gibt Schätzungen, wonach rund 850.000 serbische orthodoxe Christen in Deutschland leben“, meint der Bischof. Auch in den vergangenen Monaten und Jahren ist der Strom der Menschen nicht abgerissen, die aus dem früheren Jugoslawien nach Deutschland übersiedeln.

850.000 Serbische orthodoxe Christen in Deutschland

Unter anderem hängt das mit der schlechten Regierungsführung in Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Bosnien und Herzegowina zusammen. Die Regime in Belgrad und Podgorica etwa stehen an der Spitze von korrupten politischen Eliten. Ehrliche Politiker wie der derzeitige montenegrinische Premierminister Zdravko Krivokapić stemmen sich zwar gegen Korruption und Vetternwirtschaf, allerdings mit begrenztem Erfolg.

Als Folge des wirtschaftlichen Niedergangs in Südosteuropa verlassen viele junge oder gut ausgebildete Kräfte ihre Heimat, um sich im Westen eine neue Existenz aufzubauen. Deutschland macht es ihnen vergleichsweise leicht, eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten, etwa im Gesundheitswesen. Tausende serbischer Pfleger und Ärzte sind in den letzten Jahren nach Deutschland ausgewandert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie oder ihre Kinder eines Tages in die alte Heimat zurückkehren, ist gering. In Zeiten der Pandemie profitiert das wohlhabende Deutschland von diesen Kräften. In Serbien, Montenegro oder Bosnien und Herzegowina hingegen verfällt nach und nach das ohnehin schwache Gesundheitssystem.

Gemeinden wachsen durch Neuankömmlinge

Viele Priester in den meisten serbischen orthodoxen Gemeinden müssen mehrere Gemeinden betreuen. Gerne würde es Bischof Grigorije sehen, dass den Neuankömmlingen auch bei ganz praktischen Dingen geholfen wird: bei der Wohnungssuche, bei der Einschulung der Kinder, beim Deutschunterricht, bei der Integration in die deutsche Gesellschaft. Dafür sind die meisten Gemeinden der SOK zumindest derzeit noch nicht personell ausgestattet. Es fehlt aus finanziellen Gründen an festangestellten Sozial- oder Jugendarbeitern, Religionslehrern, Pflegekräfte für die Alten und Kranken. Viele Gemeinden bieten auf der Grundlage ehrenamtlicher Tätigkeit Religionsunterricht für Heranwachsende an, Tanzunterricht in Folkloregruppen, Gesangsunterricht in Kirchenchören.1 „Im Zentrum unserer Arbeit stehen aber die Liturgie, das Spenden der Sakramente, die Verkündung von Gottes Wort und caritative Tätigkeiten, wo es unsere Möglichkeiten erlauben“, so der Bischof.

„Unsere Kirche lebt ausschließlich von Spenden,“ erklärt der Bischof. Staatliche Unterstützung gibt es nicht, obwohl die in Deutschland arbeitenden serbischen orthodoxen Gläubigen genauso Steuern zahlen. Von den Möglichkeiten der katholischen oder protestantischen Kirche können die orthodoxen Christen nur träumen, was aber Bischof Grigorije nicht davon abhält, gute Beziehungen zu anderen Kirchen, Konfessionen und Glaubensgemeinschaften zu pflegen. „Schon als Bischof im bosnischen Trebinje, wo ich der Kirche diente, bevor ich vor zwei Jahren nach Deutschland kam, war dies so.“ Er hatte freundschaftliche Kontakte zu den römisch-katholischen Priestern und Bischöfen und suchte das Gespräch mit den Muslimen. „In den Armenküchen, die wir in Trebinje in der schweren Zeit während und nach dem Krieg errichteten, wurde nie jemand nach seinem Glauben gefragt“, erinnert sich der Bischof.

Gute Beziehungen zu anderen Konfessionen

Besonders eng sind die Beziehungen zu den anderen orthodoxen Kirchen in Deutschland: zu den Russen, den Griechen, Rumänen oder Bulgaren. Die Bischöfe der orthodoxen Kirchen in Deutschland treffen sich regelmäßig und sprechen sich über aktuelle Themen ab. „Vor wenigen Tagen haben wir gemeinsam an unsere etwa drei Millionen orthodoxen Gläubigen in Deutschland appelliert, sich gegen Corona impfen zu lassen.“ Es gebe auch unter orthodoxen Christen sehr viele Impfskeptiker, meint er. Wie bei anderen Glaubensgemeinschaften in Deutschland hat die Pandemie die Arbeit der SOK eingeschränkt. „Wir halten uns an die Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln und die Verordnungen der Behörden.“

Gleich nach seiner Ankunft im Sommer 2019 in Deutschland begann er, intensiv Deutsch zu lernen, sagt der 53jährige Bischof. Auch von seinen rund 50 Priestern erwartet er gute Deutschkenntnisse. Sein Ziel ist es, dass in allen Gemeinden die Liturgie zumindest teilweise in deutscher Sprache gefeiert wird. „Leider gibt es ältere Geistliche, deren Deutschkenntnisse ausbaufähig sind, obwohl sie schon viele Jahre in Deutschland leben.“ Hoffnung machten jüngere Priester, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. In Zukunft sind gute Deutschkenntnisse eine Grundvoraussetzung, um in seiner Diözese eine Gemeinde führen zu dürfen. Es gebe immer mehr Gläubige, die in der Bundesrepublik geboren und aufgewachsen sind, kein oder kaum Serbisch sprechen, aber sich der orthodoxen Kirche verbunden fühlen. Für den jeweiligen Gemeindepriester ist es, schwer alle zufrieden zu stellen: zum einen die Neuankömmlinge aus dem früheren Jugoslawien, die in Serbisch angesprochen werden wollen, zum anderen die dritte oder vierte Generation von serbischen orthodoxen Christen, für die Deutsch die Muttersprache ist.

Die SOK im Wandel

In den USA, in Australien oder in Kanada sei die SOK schon weiter, meint der Bischof. Dort werde an Sonntagen die Liturgie in Serbisch und Englisch gefeiert. „Wir sind aber dabei aufzuholen.“ Der Glaube sei selbstverständlich wichtiger als die Pflege nationaler Traditionen.

Eine zentrale Aufgabe der SOK ist es, die Kirche, die bislang als eingetragener Verein in Deutschland registriert war, in eine „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ umzuwandeln. Das bringt zum Beispiel steuerrechtliche Vorteile. Außerdem sind auch die katholische und evangelische Kirche sowie die meisten orthodoxen Kirchen in Deutschland Körperschaften des öffentlichen Rechts. „Wir möchten uns als Kirche mit denen vergleichen, nicht mit einem Gesangs- oder Kleingartenverein“, sagt der Bischof. Die Umwandlung koste viel Kraft und Geld. Unter anderem müsse die Diözese glaubwürdig belegen, dass ihre Gemeinden auch langfristig in Deutschland eine Zukunft haben werden – „Davon gehe ich fest aus, so Gott will.“


Fußnote:


  1. Vgl. dazu auch die Erläuterungen von Pavle Aničić in seinem Beitrag „Zwischen Verantwortung und Erwartungen – die Pandemie als besondere Herausforderung für die orthodoxe Diaspora“, in: OWEP 22 (2021), H. 3, S. 162-167, bes. S. 165 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎