1919: Bürgerkrieg

aus OWEP 4/2017  •  von Nadieszda Kizenko

Prof. Dr. Nadieszda Kizenko: Professorin für Russische Geschichte an der State University of New York, Albany.

Das Jahr 1919 stellte die Wende im Russischen Bürgerkrieg und das Ende des Russischen Reiches dar. Im Oktober waren die antikommunistischen Truppen (die „Weißen“) einem Sieg am nächsten, und zugleich war es der Monat ihrer entscheidenden Niederlagen. Die Randgebiete Russlands wurden sowohl für den Bürgerkrieg als auch für die Pariser Friedensverhandlungen entscheidend.

An der Westfront schlug Estland kommunistische Verbände und baltendeutsche Freiwillige zurück. Dieser Sieg erlaubte es dem weißen General Judenitsch, mit britischer Hilfe die Nordwestarmee in Estland zu organisieren. Im Oktober konnte Judenitsch mit 20.000 Mann und sechs britischen Panzern beinahe Petrograd erobern. Trotzki leistete jedoch erfolgreich Widerstand, Judenitsch musste sich zurückziehen und wurde von den Esten (auf Druck der „Roten“) entwaffnet. An der Ostfront wurden die ursprünglichen Erfolge der weißen Truppen in Ufa und Tschistopol durch einen roten Gegenangriff im Oktober zurückgeschlagen, was zum Rückzug der Weißen führte. Admiral Koltschak verlor Sibirien. Im Süden nahm General Wrangel Zarizyn ein, und General Denikins Truppen eroberten Odessa, Charkow, Belgorod und die Krim und zogen auf Moskau zu. Im Oktober und November wurden jedoch auch sie von der Roten Armee geschlagen; diese nahm Kiew im Dezember ein und schlug die Weißen in Turkestan.

Diese Verluste, die zu einer Massenflucht der Weißen aus Russland führten, prägten auch das politische Klima der Pariser Friedenkonferenz, an der für die Weißen Fürst Lwow und der ehemalige russische Außenminister Sasonow ebenso teilnahmen wie Semjon Petljura, der die Ukraine vertrat, jedoch keine Vertreter der in Moskau regierenden Kommunisten. Papst Benedikt XV., der zwischen den konkurrierenden Ansprüchen von Polen, der Ukraine und Litauen stand, zeigte eine gewisse Sympathie für eine ukrainische Unabhängigkeit. Schließlich musste Polen (unter Protest) einen Vertrag unterzeichnen, der Minderheitenrechte für Deutsche, Ukrainer und Juden garantierte. Der Ukraine blieb die Unabhängigkeit versagt, und die Vertreter des Russischen Reiches sahen ihre Hoffnungen schwinden.

Deutsch von Prof. Dr. Thomas Bremer