Das verbotene Wort „Freiheit“

aus OWEP 3/2019  •  von Adrian Schiffbeck

Adrian Schiffbeck stammt aus Rumänien, hat Journalismus und Verwaltungswissenschaften studiert und arbeitet zurzeit an der Universität Passau an einer Dissertation zum Thema „Der Einfluss religiöser Motivationen auf zivilgesellschaftliches Engagement Jugendlicher“.

Die politischen Änderungen in Richtung Demokratie wurden 1989 in Rumänien leider gewaltsam umgesetzt. Was in der Stadt Temeswar als Protest gegen die vorgesehene Verbannung eines reformierten Pfarrers angefangen hat, wurde zu einer heftigen Demonstration gegen das Regime und für das Recht, sich frei zu bewegen und auszudrücken und den Glauben öffentlich zu bezeugen. Ähnlich zu den anfänglichen Friedensgebeten in Leipzig – die zu Massenbewegungen für Einhaltung wesentlicher Menschenrechte in der damaligen DDR geführt haben – fanden die Leute in Temeswar mit der Verteidigung von Laszlo Tökes eine Gelegenheit zusammenzukommen. Die sich entwickelnde Revolution verbreitete sich in vielen anderen Orten, mit dem Höhepunkt in der Hauptstadt Bukarest.

Leider hat der Umbruch einen Tribut von mehr als 1.100 Toten gefordert. Nach fast 30 Jahren kann ich sagen, dass das Opfer der meist jungen Leute bestimmt einen Sinn gehabt hat. Ein Teenager damals, konnte ich tausende Menschen in meiner Heimatstadt Karansebesch auf den Straßen sehen; auf dem Marktplatz verbrannten sie Bücher und Bilder – Zeichen des Kommunismus, ihre Angst überwindend: Das verbotene Wort „Freiheit“ konnte ich, aus allen Herzen kommend, laut und deutlich hören.

Die Auswirkungen der damaligen Ereignisse auf das heutige Leben in Rumänien spiegeln sich in der Möglichkeit wider, dass man unbehindert sprechen und schreiben kann, dass man frei in Europa und überall reisen kann, dass man seinen Glauben und seine Meinung ohne Angst vor den Folgen in der Öffentlichkeit ausdrücken kann. Jemandem, der das Gegenteil nicht erlebt hat, kommen diese natürlichen Menschenrechte selbstverständlich vor – die anderen lernen sie zu schätzen.

Ich kann mir vorstellen, dass die Generation vor mir das Thema anders sieht, eben weil Menschen in ihren heutigen Sechzigern oder Siebzigern viel länger im Kommunismus leben mussten und von daher Opfer einer spirituellen und materiellen Unterdrückung für Jahrzehnte gewesen sind. Für sie war es schwieriger, andere Kulturen unmittelbar zu erleben. Vergleiche der heutigen Lage im Land werden daher eher mit der geschichtlichen Zeit vor der Revolution in Rumänien angestellt als mit gegenwärtigen Lebensumständen in anderen Gesellschaften. Dann macht sich weniger Zufriedenheit, sondern vorwiegend Enttäuschung breit – dass sich so wenig geändert hat und dass sich die Regierenden nach wie vor von der Vergangenheit und deren Folgen bestimmen lassen, statt offen in die Zukunft zu schauen.

Nun ist Rumänien seit 2004 NATO-Mitglied und seit 2007 in der Europäischen Union. Damals hat man die westliche Ausrichtung im Blick auf Demokratie, Freizügigkeit und Liberalismus übernommen. Auch wenn heute die Werte des Rechtsstaats oft infrage gestellt werden, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass das Land zu einer Autokratie zurückkehren wird. Ich glaube, dass Bildung dabei eine der wichtigsten Rollen spielt und spielen wird, und zwar im Sinne der Entwicklung einer gewissen Wahrnehmung: Dass man selber die Verantwortung für seine Worte und Taten trägt und daher vorsichtig damit umgehen muss; dass es Regeln gibt, um das Leben einfacher zu gestalten und es nicht zu verkomplizieren; dass Freiheit nicht endlose Selbstbestimmung heißt, sondern ihre Grenzen in der Verletzbarkeit des Anderen findet.

Die Rumänen müssten darüber zufrieden sein, dass sie in einem schönen Land mit freien und ungestört miteinander lebenden Menschen zusammen sein dürfen, und stolz darauf, dass das Land ein Teil Europas ist. Bis man ein Teil der angestrebten „Vereinigten Staaten von Europa“ sein kann, wird es allerdings dauern. Für diesen Anspruch müsste man sich als Nation individuell bemühen und viele Kompromisse eingehen. Wenn es um politische und wirtschaftliche Themen geht, kann die Europäische Union noch weiter zusammenwachsen als bisher. Bis man jedoch von einer wahrhaften europäischen Identität sprechen kann, werden kulturelle regionale und nationale Identitäten im Vordergrund stehen. Mit Gottes Willen ist aber die Verwirklichung dieser weitergehenden Vision in der Zukunft sicherlich möglich.