Der Schädelturm im serbischen Niš

aus OWEP 4/2022  •  von Marina Stojanović

Marina Stojanović ist promovierte orthodoxe Theologin und arbeitet als Religionslehrerin am Gymnasium von Smederevo (Serbien) sowie als Referentin in der Diözese von Braniçevo.

Zusammenfassung

Bis heute erinnert in der serbischen Stadt Niš ein ungewöhnliches Mahnmal an die osmanische Besatzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es besteht aus zahlreichen Schädeln gefallener serbischer Aufständischer. Sie wurden bei einem Aufstand gegen die osmanischen Besatzer getötet. Der Turm steht bis heute als nationales Symbol für den Freiheitswillen der Serben und ihren aufopferungsvollen Kampf gegen die Türken.

Mahnmal der Totenschädel

Eines der schauerlichsten, aber auch authentischsten Denkmäler der serbischen Geschichte des 19. Jahrhunderts befindet sich in der Nähe von Niš, einer Stadt, deren Geschichte bis in die Antike zurückreicht und die heute ein wichtiges kulturelles und administratives Zentrum Südserbiens ist. Bei dem Denkmal handelt es sich um einen Turm, der aus den Schädeln getöteter serbischer Kämpfer – Aufständische des Jahres 1809 – gebaut wurde.

Der Turm ist quaderförmig, etwa drei Meter hoch, und 952 Köpfe sind darin verbaut. Sein Bau geht auf den osmanischen General Hurschid Pascha zurück, der im besetzten Land Angst verbreiten und jeden weiteren Widerstand brechen wollte. Dahinter steht die Geschichte der serbisch-türkischen Kriege und vor allem die Schlacht von Čegar 1809, die sich in die Geschichte des Ersten Serbischen Aufstands einreiht, der die Grundlage für die spätere Befreiung von der osmanischen Herrschaft bildete.

Schon vor der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 begann sich die osmanische Herrschaft in Südosteuropa auszubreiten. Trotz des heldenhaften Widerstands in den serbischen Ländern fiel der Großteil der Balkanhalbinsel schon bald unter türkische Kontrolle. Der zweite Fall von Smederevo 1459 besiegelte das vorläufige Ende des serbischen Despotats. Es muss auf die Bedeutung des Kampfes der serbischen und byzantinischen Streitkräfte gegen die Osmanen für das übrige Europa hingewiesen werden. Dieser in militärischer, kultureller und jeder weiteren Hinsicht für das serbische Volk verlustreiche Krieg hat den Rest Europas ohne Zweifel vor der türkischen Bedrohung bewahrt. Das Bewusstsein der Europäer für die Bedeutung des serbischen Opfers wird dadurch verdeutlicht, dass die Ereignisse im Zusammenhang mit der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 von den europäischen Staaten aufmerksam verfolgt wurden – diese Schlacht, wie die Schlacht von Marica einige Jahre zuvor, verhinderte das Vordringen der Türken in den Norden und Westen des Kontinents.

Die Ereignisse des 14. und 15. Jahrhunderts, als die Osmanen serbische Gebiete einnahmen, hatten am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Folgen, die die mittelalterliche Besatzungsmacht nicht absehen konnte. Im Zuge eines neuzeitlichen Bewusstseins, in dem es für das Konzept einer kaiserlich-göttlichen Autorität keinen Platz mehr gab, wurde die türkische Besatzung immer mehr zu einem unerträglichen Zustand.

Der Beginn des serbischen Aufstands

Türkische, separatistische Oligarchen – bekannt als Dahije (Aganlija, Kucuk Alija, Mula Yusuf und Fočić Mehmed Aga) – verbreiteten Terror und Schrecken, was auch der türkischen Regierung unter Sultan Selim III. in Konstantinopel zuwiderlief. In diesem Umfeld bereitete die unterdrückte serbische Bevölkerung den Befreiungskampf vor, teilweise unterstützt von der türkischen Bevölkerung.

Die Anführer dieser Aktionen ab 1803 waren Aleksa Nenadović und Karadjordje Petrović. Karadjordjе, dem die Besatzer das Präfix „kara-“ (schwarz) an den Namen Djordje (Georg) fügten, organisierte schließlich erfolgreich und trotz schwieriger Umstände einen Aufstand. Er griff schnell um sich und vertrieb schließlich die Dahije aus dem Belgrader Paschaluk, wo die übrigen serbischen Länder weiterhin unter osmanischer Herrschaft standen.

Freiheitskampf nach dem Blutvergießen

Unmittelbar vor Ausbruch des Aufstands ereignete sich ein schreckliches Verbrechen, das das Fass offenbar zum Überlaufen brachte. Anfang 1804 führten die Dahije an den serbischen Fürsten Massaker, die „Seča knezova“, durch, ein Blutvergießen, bei dem einige der prominentesten Serben getötet wurden, mehr als hundert gelehrte, angesehene und politisch aktive Personen.

Diese grausame Tat hatte entscheidenden Anteil daran, dass der Freiheitskampf nur wenige Tage später am 14. Februar, dem Fest der Darstellung des Herrn, unter der Führung von Karadjordje begann.

Der Aufstand breitete sich schnell auf fast alle Gebiete aus, in denen Unterdrückung herrschte, und die Freiheit konnte schrittweise errungen werden. Die österreichische Monarchie unterstützte aus der Distanz stillschweigend den Befreiungskampf der Serben. Auch die türkische Regierung in Konstantinopel ergriff zunächst keine Maßnahmen gegen die Vertreibung der separatistischen, türkischen Tyrannen, weil sie erkannte, dass sich die Ereignisse auf dem Balkan ihrer Kontrolle entzogen hatten. In der Reihe von Gefechten und Schlachten in verschiedenen Teilen des besetzten Gebiets stechen besonders die Aktionen bei Ivankovac, Misar, Deligrad und Čegar hervor.

Zur gleichen Zeit befand sich in Europa Napoleon im Krieg mit Österreich und Russland, während auch der russisch-türkische Krieg andauerte. Die Russen boten den serbischen Aufständischen ein Bündnis an, was die Motivation unter den Serben steigerte und die Überzeugung wachsen ließ, den Befreiungskampf erfolgreich führen zu können. Das Bündnis mit den russischen Streitkräften erwies sich jedoch als wenig relevant für den Ausgang des Konflikts. Russland stand der Bedrohung durch Napoleon gegenüber, konzentrierte seine Kräfte vorrangig auf den Krieg gegen Frankreich und überließ in dieser Situation sowohl die Serben als auch die Osmanen ihrem Schicksal.

Die Schlacht von Čegar fand im Jahr 1809 in einer Phase des Aufstands statt, als die Serben zunehmend in die Defensive gerieten und deutlich wurde, dass sie im Kampf gegen die Osmanen sich selbst überlassen blieben. In dieser schwierigen Phase des Konflikts wurden nicht zum ersten Mal in der Geschichte des serbischen Volkes die tieferen Motive offenbar, aus denen heraus einige Jahre später die Befreiung realisiert werden konnte. Es ging um das selbstlose Opfer des eigenen Lebens für Freiheit, die Landsleute und das höhere Ziel.

Die Schlacht von Čegar war Teil der Kämpfe um die Eroberung der Festung in Niš. Trotz des Mangels an schweren Waffen gelang es den Aufständischen, viele serbische Städte zurückzuerobern und mittels ausgefeilter Taktik die Befestigungen zu überwinden. Als im Mai 1809 die militärische Auseinandersetzung um Niš begann, waren weder die aufständischen noch die türkischen Kräfte in guter Verfassung.

Der strategische Vorteil der türkischen Armee war jedoch, dass sie sich im Innern der Festung befand, die mit acht Meter hohen und drei Meter breiten Mauern die größte Festung nach der von Belgrad war. Bis zum Beginn der Schlacht von Niš zählte die türkische Armee zwischen 30.000 und 35.000 Soldaten.

Die Aufzeichnungen von Ilija Ćosa

Die serbische Armee hatte ungefähr 12.000 Kämpfer, einige Schätzungen gehen von bis zu 18.000 Soldaten aus. Über die Vorbereitungen und den Verlauf der Kämpfe berichten die Aufzeichnungen von Ilija Ćosa, einem Teilnehmer der Geschehnisse. Er gibt Auskunft über Einzelheiten der Organisation der aufständischen Armee und auch über Uneinigkeiten und Fehden zwischen einigen militärischen Anführern und dem Hauptinitiator des serbischen Aufstands Karadjordje, der im Wesentlichen alle Aktionen der Aufständischen kommandierte.

Diese Details wären unbedeutsam, wenn nicht die Frage offen wäre, wie viel die Konflikte innerhalb der Aufständischen auch zur Niederlage der Serben bei Čegar beitrugen. Das Vorgehen der Aufständischen in der Schlacht war neben direkten Versuchen, in die Stadt einzudringen, durch das Ausheben zahlreicher Schützengräben geprägt. Während der Schlacht von Niš befand sich der zentrale Schützengrab bei Čegar, wo die wichtigste Aktion des serbischen Anführers Stevan Sindjelić und seiner Soldaten stattfand. Es wird angenommen, dass die Gesamtlänge der Gräben etwa 500 Meter betrug und dass etwa 2.500 Soldaten – einschließlich der Reserve – darin ihre Stellung hielten. Die Ausgangslage der serbischen Armee war denkbar ungünstig – es mangelte an Waffen und der Seitenschutz war sehr schwach.

Eine Schlacht ohne Sieger

Der Kampf bei Čegar dauerte wahrscheinlich vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag, wobei der komplexe Verlauf dieser Schlacht sowie der Kämpfe in anderen Schützengräben schwer zu rekonstruieren ist.

Nach fünf abgewehrten Angriffen fielen die Türken schließlich in die Schützengräben ein. Als eine große Anzahl türkischer Soldaten in einem Graben im Nahkampf einer kleinen Zahl von Aufständischen gegenüberstand, sprengte Stevan Sindjelić mit Schießpulver den gesamten Schützengraben.

Die Explosion tötete alle bis dahin überlebenden Kämpfer – eine kleine Zahl serbischer, aber eine weitaus größere Zahl türkischer Soldaten, die bis zu diesem Zeitpunkt mit einem sicheren Sieg gerechnet hatten. Auf anderen Schlachtfeldern zog sich die serbische Armee zurück, währenddessen es noch zu vereinzelten Kämpfen kam. Im Ergebnis brachte die Schlacht bei Niš keiner Seite den erwarteten Sieg, aber sie schwächte die türkische Seite erheblich. Die meisten Quellen schätzen die Zahl der serbischen Opfer auf etwa 3.000 gefallene Soldaten, für die türkische Seite auf 6.000 Gefallenen, wobei einige Quellen sogar von über 10.000 Soldaten sprechen. Der türkische General Hurschid Pascha befahl, die toten serbischen Krieger zu enthaupten, ihnen die Haut abzuziehen und sie als Beweis für den Sieg nach Konstantinopel zu schicken. Die Schädel wurden in den Turm eingebaut, der noch heute als Denkmal und Zeuge dieser schrecklichen Ereignisse steht.

Zeugnisse über Ćele Kula und seine Symbolik

Ähnlich wie das Kreuz, an dem unter den Römern Unschuldige gekreuzigt wurden, so wandelte sich auch die Symbolik dieses Denkmals von der ihr ursprünglich zugedachten Abschreckung zu einem Symbol von Befreiung, fruchtbarem Opfer und Siegesgeist derer, die die Freiheit verteidigen. Auf wundersame Weise verwandelten sich hier Leiden, Tragik, Tod und Leid in Sieg, Freiheit, persönliche und allgemeine Auferstehung der Opfer. Stevan Sindjelić, die Schlacht von Čegar und Ćele Kula sind in die Werke von Dichtern und in die Geschichten des serbischen Volkes eingegangen.

Vuk Stefanović Karadžić, Linguist und Schöpfer der modernen serbischen Rechtschreibung, Sammler von Volksepen und selbst auch Beteiligter am Aufstand, schrieb: „Die Türken drangen mit aller Macht in den Resava-Graben ein. Soldaten aus anderen Schützengräben wollten den Männern dort zu Hilfe kommen, aber Miloje befahl, dass sich niemand bewegen, sondern jeder in seinem eigenen Schützengraben bleiben sollte. Einige Türken fielen, andere überwanden die serbischen Linien, und so füllten sich die Gräben mit Toten; die Überlebenden drangen in die Schützengräben ein und begannen, mit Gewehren, Säbeln und Messern gegen die Serben zu kämpfen und ihnen das Genick zu brechen. Als Fürst Stevan sah, dass die Türken die Oberhand gewonnen hatten, feuerte er eine Pistole ab und ging mit vielen Serben und Türken, die um ihn herumstanden, in den Tod. Und so kamen alle Soldaten von Resava ums Leben, etwa 3.000 Leute, nur der Stallknecht von Sindjelić überlebte, und als er zu den Serben kam, erzählte er, was bei Čegar passiert war.“

Stevan Sindjelić selbst wurde zu einer Inspirationsquelle für serbische Dichter. In seinem Buch „Zvezdama povezani“ erwähnt Saša Hadži-Tančić die Büste des Heerführers: „Derjenige, der sein Gesicht in Bronze goss, sah ihn düster, mit dem Gesicht eines Adlers, hoher Stirn und scharfen Gesichtszügen. Er stellte ihn mit bewusster Unentschlossenheit und schrecklichem Zweifel in den Augen dar – als sagte er: 'Ich sehe und weiß alles! Gott, was für eine Erleichterung!' Der Turm ist sein Vermächtnis; doch er gleitet in der Unendlichkeit der Zeit zu seinem Zeitalter, ohne sich um die Gegenwart zu kümmern.“

Das Lied der Freiheit und des Ruhms

Bekannt ist das Zeugnis des französischen Dichters Alfonse de Lamartine:

Der Weg führte mich zu dem Turm; ich näherte mich ihm und gab einem türkischen Kind, das mit mir ging, mein Pferd, um es zu halten, und setzte mich in den Schatten des Turms, um mich ein wenig auszuruhen. Ich hatte mich gerade hingesetzt, als ich, nachdem ich zu dem Denkmal aufblickte, in dessen Schatten ich saß, sah, dass seine Wände, die mir aus Marmor oder weißem Stein gebaut zu sein schienen, aus regelmäßig angeordneten menschlichen Schädeln bestanden… Ich habe die Überreste dieser heldenhaften Menschen, deren abgetrennte Köpfe zum Grundstein der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes wurden, mit meinen Augen und meinem Herzen gegrüßt. Serbien, das wir betreten werden, ist jetzt frei, und das Lied der Freiheit und des Ruhms erklang im Turm der Serben, die für ihr Land starben. Bald wird Niš selbst ihnen gehören. Mögen sie dieses Denkmal bewahren! Es wird ihre Kinder lehren, was die Unabhängigkeit einer Nation wert ist, und ihnen zeigen, zu welchem Preis ihre Väter sie gekauft haben.“

Da Lamartine nicht über die Hintergründe informiert war und unter dem Eindruck des Denkmals stand, vermutete er, dass mehrere tausend Schädel in den Turm eingebaut waren.

Im Jahr 1892 wurde über dem Turm eine kleine Kirche gebaut. Später wurden einige Schädel wieder in den Turm eingebaut, nachdem sie im Laufe der Zeit abgefallen waren. Heute gibt es noch 58 Schädel im Turm. Einige der Schädel sind besonders herausgehoben, wie der Schädel von Fürst Stevan. Der renovierte Turm wurde 1938 gemeinsam mit der Büste von Stevan Sindjelić eingeweiht.

Aus dem Serbischen von Thomas Bremer.