Eine „Generation dazwischen“

aus OWEP 3/2019  •  von Tabea Roschka

Tabea Roschka (geb. 1996) stammt aus Thüringen und studiert gegenwärtig im Masterstudiengang Osteuropastudien an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Tabea Roschka (Foto: privat)

Geboren wurde ich nach den politischen Umbrüchen und der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas, und dennoch hat mich die Teilung Europas nachhaltig geprägt. Denn ich stamme ursprünglich aus Thüringen; heute das grüne Herz Deutschlands, damals an der Grenze des Risses, der Europa entzweite. Meine Eltern sind in der DDR aufgewachsen und waren als Christen mit der ideologisierten, kirchenfeindlichen Haltung des Staates konfrontiert. Während dies an vielen Stellen Religiosität und gelebten Glauben ersticken ließ, führte eine solche Unterdrückung für manche zu einer Festigung im Glauben. Merken kann man dies bis heute an den Gemeinden in der Diaspora: Sie mögen zwar weniger Mitglieder zählen, doch geht damit oft auch ein engerer Zusammenhalt einher. Auch für meine Familie ist es weiterhin wichtig, unsere christliche Identität mutig, aber gleichzeitig kritisch zu leben.

Trotz dieses sehr greifbaren Nachhalls der DDR gehöre ich zu einer „Generation dazwischen“: Obgleich die Erinnerungen an DDR-Zeiten durch Erzählungen wachgehalten werden, wurde ich in einem vereinten Deutschland geboren. Mir werden Freiheiten zuteil, die der Generation meiner Eltern jahrzehntelang verwehrt geblieben waren. So konnte ich zum Beispiel während meiner Schulzeit ein Jahr in Ungarn verbringen und später mein Studium in Frankreich aufnehmen. Für mich viel mehr Normalität als Privileg – eine tatsächliche Vorstellung davon, wie es wäre, diese Möglichkeiten nicht zu haben, fehlt mir weitgehend.

Oft fällt dabei unter den Tisch: Dies alles steht uns heute nur in dieser Form offen, weil nicht nur die innerdeutsche Teilung überwunden wurde, sondern weil die Europäische Union erweitert wurde und über die Jahre enger zusammengewachsen ist. Diejenigen, die nach mir geboren wurden, nehmen offene Grenzen und eine starke europäische Integration womöglich als selbstverständlicher wahr. Ich hingegen kann mich noch gut an Grenzkontrollen auf dem Weg in den Ungarnurlaub erinnern und verspüre eine starke Wertschätzung für den friedlichen Systemwechsel, den meine Eltern bis heute als eine Art Wunder beschreiben.

Dass die Trennlinien zwischen Ost und West noch nicht überwunden sind oder sich heute auf andere Art und Weise ausdrücken, wurde nicht zuletzt durch die diesjährige Europawahl deutlich. Ich persönlich gerate in Erklärungsnot, wenn mich Menschen in meinem Umfeld befragen, warum die AfD in meinem Heimatort das stattliche Ergebnis von 20,0 Prozent, die NPD wiederum beachtliche 4,6 Prozent erzielte. Anstelle einer fundierten Antwort drängt sich mir ein Gefühl der Entfremdung von meiner eigenen Heimat auf. Natürlich wünsche ich mir nicht, die DDR miterlebt zu haben, aber vielleicht würde mir diese Erfahrung dabei helfen, nachvollziehen zu können, warum sich Menschen heute von den etablierten Parteien alleingelassen fühlen und sich populistischen und nationalistischen Parolen anschließen.

Gewiss geht es vielen Gleichaltrigen in Ländern wie Ungarn oder Polen, wo sich einst für konsolidiert gehaltene Demokratien von demokratischen Grundprinzipien abwenden, ähnlich. Globalisierung allgemein und die europäische Integration im Spezifischen hat dazu geführt, dass ich – was Weltanschauung und Werte anbetrifft – mehr Gemeinsamkeiten mit jungen Studierenden aus Litauen, Schweden oder Frankreich verzeichne als mit einem erheblichen Teil der deutschen Bevölkerung.

Im Hinblick auf die Zukunft Europas wünsche ich mir ein Bewusstsein für die neuen Herausforderungen, die sich vor uns auftun, und die Erkenntnis, dass nur ein gemeinsames europäisches Anpacken zu Lösungen für diese Probleme führen kann. Flucht und Migration sowie Klimawandel sind wohl die zwei größten Themenfelder, welche nicht mit nationalen Strategien allein bewältigt werden können.

Wie können wir dies erreichen? Was uns momentan fehlt, ist eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit, das heißt ein Raum des Diskurses und Austausches über Grenzen hinweg. Zwar gibt es eine Vielzahl von europäischen Begegnungsprogrammen, doch wo werden europäische Angelegenheiten wirklich grenzübergreifend diskutiert – von den Institutionen der Europäischen Union mal abgesehen? Meine Generation, die „Generation dazwischen“, hat die Chance und Verantwortung, solche Räume zu schaffen und dadurch zu zeigen, dass uns die Einigkeit mit unseren Nachbarn nicht egal, sondern sehr präsent und teuer ist. Das Ende des Kalten Krieges mag 30 Jahre zurückliegen, aber die Dringlichkeit der Versöhnung bleibt.