Erfüllte Hoffnungen – aber noch nicht für die mittlere und ältere Generation

aus OWEP 3/2019  •  von Ina Gorges-Diehl

Ina Gorges-Diehl (geb. 1970) stammt aus Nordhausen, ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Sie lebt in Niederwiesa (Sachsen) und ist als Prüfingenieurin tätig. – Die Fragen stellte Michael Albus.

Wie haben Sie den Umbruch, die „Wende“ erlebt?

Ina Gorges-Diehl (Foto: privat)

Ich habe die Wende als Studentin in Karl-Marx-Stadt, das heute wieder Chemnitz heißt, erlebt. Die Demonstrationen im Herbst 1989 erzeugten das Gefühl, dass gewaltige Veränderungen bevorstehen, aber auch Unsicherheit durch die Präsenz der Polizei. Einige Zeit war der Wunsch da, die DDR zu reformieren, anstatt der BRD beizutreten. Die Grenzöffnung habe ich daher erst mit Skepsis, später mit großer Euphorie begrüßt. Die Visionen von „blühenden Landschaften“ im Osten haben dann überwogen. Die Reisefreiheit und das neue Warenangebot waren überwältigend. Aber erst die Währungsunion ermöglichte das Nutzen der neuen Möglichkeiten.

Traurig war der Weggang vieler Bekannter. Der Zusammenbruch der Wirtschaft bedeutete für meine Eltern Arbeitslosigkeit und für mich Umorientierung nach dem Studium, da Absolventen in kaum noch vorhandenen Maschinenbau-Unternehmen nicht mehr gebraucht wurden. Für mich als jungen Menschen war das einfacher als für die ältere Generation.

Für mich persönlich kam die Wende zur rechten Zeit. Eine geborgene glückliche Kindheit in der DDR und die vielfältigen beruflichen und persönlichen Möglichkeiten der Entfaltung als junger erwachsener Mensch. Ich konnte ein Praktikum in einem westdeutschen Unternehmen machen und mein Bruder hat im Ausland studiert. In meiner Lebensphase überwogen die Vorteile der Wende klar die Schwierigkeiten und Nachteile.

Wurden ihre Hoffnungen und Erwartungen erfüllt?

Meine Hoffnungen an einen Umbruch gingen eher in Richtung Reformen in der DDR statt einer neuen Gesellschaftsordnung; Normalität, Leben in vernünftigen Verhältnissen statt Abwärtstrend. Ich wünschte mir, dass eine freie Meinungsäußerung möglich ist; dass Schulen und weitere Bildungseinrichtungen nicht so voller Propaganda sind, sondern eine freie Entwicklung der Persönlichkeit erlauben würden. Ich hoffte auf Reisefreiheit, Verbesserung der Wirtschaft, Sanierung der Häuser und der Infrastruktur. All das wurde schließlich mit der Wiedervereinigung wahr.

Ich lebe nun in einem wirtschaftlich starken Land, habe demokratische und persönliche Rechte, kann reisen, frei wählen, habe aber auch die Mühen der Freiheit (Überfülle an Angeboten) und Schwierigkeiten der Marktwirtschaft (z. B. Konkurrenzdenken, Insolvenz des Arbeitgebers) zu tragen. Somit erfüllten sich meine Hoffnungen und Erwartungen, aber neue Anforderungen und Herausforderungen kamen hinzu.

Was muss sich in unserem Land 30 Jahre danach noch ändern?

Die Unterschiede in West- und Ost nehmen ab. Jedoch muss die Angleichung der Lebensverhältnisse weiter Ziel bleiben. Ostdeutschland muss so weiter entwickelt werden, dass die Menschen gern hier leben und sich nicht benachteiligt fühlen. Durch Ansiedlung großer Behörden oder tarifgebundener Unternehmen könnten Gehaltsunterschiede verringert werden. Zusätzlich muss zunehmend auf strukturschwache Gebiete in ganz Deutschland geachtet werden.

Die mittlere und ältere Generation hat die Errungenschaften der Wende oft nicht so nutzen können wie die Jüngeren. Sie dürfen wir nicht vergessen.

In 30 Jahren hat sich nicht nur Deutschland, sondern auch die Welt drumherum verändert. Unsere innerdeutschen Unterschiede der Lebensverhältnisse fallen doch gering aus, wenn man die Annährung der Lebensverhältnisse zwischen west- und osteuropäischen Ländern im Blick hat.

Die wirkliche Einheit Deutschlands und eine europäische Gemeinschaft können erst nachfolgende Generation erreichen. Darum ist es jetzt wichtig, unsere jungen Menschen zu befähigen, neue Aufgaben anzunehmen, und dabei das Geleistete ihrer Eltern- und Großeltern-Generationen nicht zu vergessen.

Ich lebe gern in diesem neuen Deutschland. Ich bin stolz darauf, dass die wesentlichen Impulse für Veränderung vom ostdeutschen Volk ausgingen, und ich bin froh, dass alles friedlich blieb. Ich bin dankbar für das Erreichte.