Erzbischof Stanislav Hočevar SDB – ein Brückenbauer auf schwierigem Terrain

Jelena Jorgačević Kisić (geb. 1985) ist seit 2010 Redakteurin der Belgrader Wochenzeitschrift „Vreme“. Ihr Schwerpunkt in der Berichterstattung sind religiöse Themen. Aktuell arbeitet sie an einem Dissertationsprojekt an der Universität Regensburg zum Thema „Kirche und Kommunismus in Serbien: Woran wir uns (nicht) erinnern – Kirche in der biografischen Erinnerung, 1945-1990“.

Zusammenfassung

Innerhalb Serbiens bilden die Katholiken mit fünf Prozent der Bevölkerung eine kleine Minderheit, deren Stellung in Staat und Gesellschaft aus historischen Gründen nicht unproblematisch ist. Dank der Persönlichkeit von Erzbischof Stanislav Hočevar SDB sind manche Vorurteile und das Misstrauen seitens der orthodoxen Bevölkerungsmehrheit in den letzten Jahren geringer geworden.

Erzbischof Stanislav Hočevar (Aufnahme von 2018) - Copyright: Archiv Renovabis

Am 25. März 2000 ernannte Papst Johannes Paul II. Stanislav Hočevar zum Erzbischof-Koadjutor von Belgrad. Bis dahin hatte Erzbischof Hočevar gehofft, als Missionar nach Afrika entsandt zu werden, wie es sein langgehegter Wunsch war. Angesichts der komplexen Beziehungen zwischen der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) und der katholischen Kirche mag er an manchen Tagen wohl gedacht haben, dass es für ihn einfacher gewesen wäre, auf einem anderen Kontinent als in Serbien zu wirken.

Die führende Persönlichkeit der katholischen Kirche in Serbien oder umgekehrt der wichtigste Vertreter der SOK in der kroatischen Hauptstadt Zagreb zu sein, ist oft ein Hochseilakt. Es kommt darauf an, das Gleichgewicht zu halten, denn jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, jede Geste wird durch verschiedene Linsen beobachtet. Hinzu kommt die Last der ungelösten historischen Probleme, die oft durch das politische Tagesgezänk wieder hervorgerufen wird. Es bedeutet auch, an der Kreuzung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dem Nationalen und dem Religiösen zu stehen.

Ein deutliches Beispiel dafür, wie schwierig diese Positionen sind, ist die Tatsache, dass der Sitz des serbischen orthodoxen Metropoliten von Zagreb und Ljubljana seit zehn Monaten vakant ist. Das Bistum war nämlich von Patriarch Porfirije geleitet worden, der im Februar 2021 zum Patriarchen der SOK gewählt wurde. Die Bischofsversammlung hat noch keinen Nachfolger für ihn in Zagreb bestimmt. Ganz offensichtlich ist es eine komplexe Frage in der Kirche, welcher Bischof mit all diesen Herausforderungen umgehen kann. Dazu kommen Gerüchte, dass einige Bischöfe, die für diese Position in Betracht gezogen wurden, wenig Enthusiasmus gezeigt hätten.

Umgekehrt ist Erzbischof Hočevar der dritte Slowene hintereinander an der Spitze des katholischen Erzbistums von Belgrad. Für die nationale wie religiöse Mehrheit in Serbien war es viel einfacher zu akzeptieren, dass jemand aus einer „neutraleren“ Nation nach Belgrad kam als ein Kroate.

Die Situation war allerdings noch komplexer. Nach Hočevars Aussage pflegte der vorherige Erzbischof Franc Perko dunkle Prognosen für die „Belgrader Herde“ abzugeben. In einer Atmosphäre der Unsicherheit wurde Hočevar zunächst zum Koadjutor ernannt, nicht sofort zum Erzbischof (das geschah ein Jahr später). Die katholische Kirche war ein wenig besorgt, ob er innerhalb der eigenen Gemeinschaft überhaupt akzeptiert werden würde, besonders weil einige Vertreter der (katholischen) nationalen Minderheit in Serbien sich beklagten, dass schon wieder ein Slowene Erzbischof wurde. Doch Hočevar wird ungeachtet dieser Befürchtungen bis heute in seiner eigenen Gemeinschaft, aber auch in der serbischen Gesellschaft sehr gut akzeptiert. Er spielt seit mehr als zwei Jahrzehnten eine wichtige Rolle im religiösen Leben des gegenwärtigen Serbiens.

Die Stimme eines Brückenbauers

Stanislav Hočevar wurde am 12. November 1945 im Dorf Jelendol in Slowenien als viertes Kind der Familie geboren. Er besuchte Schulen in Škocjan, Križevci und Rijeka, trat der Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos (SDB) bei und studierte an der Theologischen Fakultät von Ljubljana. Im Juni 1973 wurde er zum Priester geweiht. Er war von 1982-1984 stellvertretender Provinzial der Salesianer in Slowenien und dann Direktor einer Internatsschule in Klagenfurt (1984-1988). Bevor er nach Serbien kam, war Erzbischof Hočevar von 1988-2000 Provinzial der Salesianer in Slowenien.

Sein Leben war durch ein wichtiges Ereignis geprägt, das sich 1945 zutrug: Vier Monate vor seiner Geburt, in den unruhigen Tagen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde sein Vater entführt und von den Kommunisten getötet. Hočevar erzählte einige Male in Interviews und Diskussionen, dass seine Mutter für die gebetet habe, die ihren Ehemann getötet hatten. Dabei habe sie immer gesagt, dass diejenigen arm seien, die seinen Tod verursacht hätten, und nicht diejenigen, die ohne Ehemann und Vater geblieben waren. Durch diese persönliche Geschichte geprägt, verkündet Hočevar eine klare Botschaft der Versöhnung.

Obwohl er einen so großen persönlichen Verlust verkraften musste, hat der Erzbischof nicht etwa die Übel des Kommunismus betont, wie das bei anderen Klerikern oft der Fall ist. Bei einer Podiumsdiskussion erklärte Hočevar, er spreche nicht gerne über den Kommunismus, da unsere Gesellschaften immer noch nicht in der Lage seien, ihn ausreichend zu durchdenken und eine Gesamtperspektive zu bieten. Er kritisierte den Kommunismus in knappen Worten wegen seiner reduzierten Sicht auf den Menschen, behauptete aber zugleich, dass „die Verantwortung für die Entstehung solcher Ideologien, die durch eine erschreckende Vereinfachung gekennzeichnet sind, auch bei uns liegt, bei Christen, die ihren Glauben nicht gelebt haben.“ Diese Aussage ist typisch für die Haltung und das öffentliche Auftreten von Hočevar.

Der Erzbischof betont häufig die Wichtigkeit von Historikern und ihrer Arbeit. Bei öffentlichen Auftritten, aber auch in privaten Gesprächen erklärt der erste Mann der katholischen Kirche in Serbien geduldig, dass es nicht Sache von Politikern oder Religionsführern, sondern Historikern sei, historische Urteile zu fällen. Auch wenn das selbstverständlich klingt, werden in der Region doch endlose Schlachten über die Geschichte auf der politischen Bühne und in den Medien geschlagen. Daher lässt sich der Ruf nach Historikern und (methodischer) Objektivität im öffentlichen Diskurs als Haltung gegen den populistischen Gebrauch oder Missbrauch von Geschichte und gegen die Narrative aller Seiten sehen, in denen die eigene Seite zum Opfer gemacht wird und die oft von den Vertretern der Kirchen unterstützt wurden.

Diese Haltung ist eng mit seinen Versuchen verbunden, alle Nuancen bei der Analyse einer Fragestellung zu bedenken und sie nicht auf eine Schwarz-Weiß-Sicht zu reduzieren, also auf eine Logik von „wir“ und „sie“. Das ermöglicht vielfach die Kontaktaufnahme zu Menschen mit verschiedenen Identitäten, Hintergründen und Haltungen.

Gelebte Ökumene

Als Wendepunkt seines Lebens nennt Hočevar den 6. Januar 1964, als er zum ersten Mal in seinem Leben Fernsehen schaute und sah, wie Papst Paul VI. und der Patriarch von Konstantinopel Athenagoras einander im Garten von Gethsemane umarmten. Als er nach Serbien kam, bekam er die Chance, selbst ökumenisch tätig zu werden.

Während der Bombardierung Serbiens durch die NATO (24. März bis 10. Juni 1999) initiierte der Erzbischof die Bewegung „Friede für dich, Balkan“. In seiner Belgrader Zeit war er Vorsitzender der Bischofskonferenz Jugoslawiens, die später in „Internationale Bischofskonferenz St. Kyrill und Method“ umbenannt wurde (2001-2011), und 2002 wurde er zum Mitglied im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ernannt. Im selben Jahr begründete er das erste Treffen von Mitgliedern der Bischofskonferenz mit dem Heiligen Synod der SOK. Er hat an zahlreichen interreligiösen Konferenzen und Treffen teilgenommen, ebenso an öffentlichen und privaten Begegnungen mit den Patriarchen, Bischöfen, aber auch dem Klerus und den Gläubigen der SOK.

Erzbischof Hočevar und der orthodoxe Bischof Irenej bei einer Tagung des orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus in Belgrad 2007 (Copyright: Johannes Oeldemann)

In vielen Interviews hat Hočevar über die Notwendigkeit gesprochen, Gemeinschaft und christliche Einheit zu suchen. Als er sich einmal selbst beschreiben sollte, antwortete er: „Ich leide schrecklich an der Teilung zwischen der östlichen und der westlichen Christenheit und ich habe keine Angst vor den Schwertern der einen oder der anderen Seite.“ Als er einige Jahre später, 2011, gebeten wurde, diese Aussage noch einmal zu kommentieren, antwortete er, dass er jetzt sogar noch mehr leide: „Wir alle, die östliche und die westliche Kirche, haben zu wenig Verständnis für Einheit und Gemeinschaft. Die Schwerter, die ich erwähnt habe, sind der Mangel an Verständnis auf beiden Seiten. Vorurteile entstehen schnell. Wer sich heute für die Einheit der Christen einsetzt, stößt auf Unverständnis ... Ich habe keine Angst davor, radikal zu sein, wenn es sein muss, und zu sagen: Wo keine Einheit ist, dort wird gegen Jesus Christus gewirkt.“

Für viele Bürger Belgrads und Serbiens ist Hočevars Offenheit gegenüber anderen eine seiner wichtigsten Eigenschaften. Unzählige Menschen besuchen ihn oder schreiben ihm. Dass die meisten von ihnen orthodoxe Christen sind, muss kaum erwähnt werden. Oft bezeichnet sich der Erzbischof selbst als „Teil des serbischen Volkes“, was er formell und symbolisch dadurch bestätigt hat, dass er die serbische Staatsangehörigkeit angenommen hat.

Natürlich wird ihm zuweilen auch Misstrauen entgegengebracht, das sich in seinen eigenen Worten zusammenfassen lässt: „Manche sagen mir, ich bin serbischer als ein Serbe, andere sagen mir, dass ich die Orthodoxie des serbischen Volkes zerstören will; manche sagen mir, ich sei zu slowenisch, andere, dass ich zu ökumenisch sei.“

Warten auf den richtigen Augenblick

Als Erzbischof Hočevar nach Serbien kam, war das Land in Nationalismus, politischen Autoritarismus, Korruption, Wirtschaftskrise und Gewalt versunken. Die Bombardierungen der NATO hatten einige Monate vorher geendet. Die Gesellschaft war verschlossen und isoliert.

Wenige Monate nach der Ernennung Hočevars war das Regime von Slobodan Milošević besiegt (5. Oktober 2000). Es sah aus, als würde das Land einen demokratischen Wandel durchlaufen. Es brach eine neue Ära in der Beziehung zwischen dem Staat und der SOK an. Auch die Stellung von anderen traditionellen Kirchen und Religionsgemeinschaften änderte sich in der Gesellschaft. Trotz einigen Widerstands wurde praktisch über Nacht Religionsunterricht in den Schulen eingeführt. Die Präsenz von Kirchen in der Armee wurde zugelassen und es begann der komplizierte Prozess, das verstaatlichte Kircheneigentum zurück zu erstatten.

Für viele dieser Veränderungen haben sich die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften gemeinsam eingesetzt. Die Treffen der Religionsführer wurden nun häufiger. In den folgenden Jahren waren diese Beziehungen bald besser, bald sehr formell. Üblicherweise hingen sie von der Initiative der SOK ab.

Bis heute ist Serbien einer von nur sehr wenigen europäischen Staaten, die nie von einem Papst besucht wurden. Erzbischof Hočevar hat das in deutlichen Worten kritisiert. Zuweilen gibt es darüber öffentliche Debatten, die von Spekulationen in den Medien angeheizt werden, ob der Papst kommt oder nicht. Jemand von der SOK sagt darauf üblicherweise, es sei gerade nicht der richtige Moment.

Ein weiteres Problem ist, dass in einem Teil der serbischen Öffentlichkeit und der SOK die gesamte katholische Kirche zuweilen mit der katholischen Kirche in Kroatien gleichgesetzt wird. Die historische Erinnerung an die Rolle des katholischen Klerus im „Unabhängigen Staat Kroatien“ (1941-1945) ist ebenso lebendig wie die an die Konzentrationslager dieses Satellitenstaates von Nazi-Deutschland. Hočevars Position, dass bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit die Arbeit von professionellen Historikern die Grundlage bilden muss, ist daher besonders wertvoll. Er fordert, dass die Kirchen Verantwortung übernehmen und um Vergebung bitten sollten.

Im Moment ist Patriarch Porfirije das Oberhaupt der SOK, der für seinen ökumenischen Einsatz und die ausgezeichneten Beziehungen zu anderen Kirchen bekannt ist.

Das Bild zeigt Erzbischof Stanislav Hočevar und den Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche Porfirije bei einem Treffen im Marijanum am 20. Dezember 2021 (Copyright: Hadži Marko Vujčić)

Papst Franziskus hat die Welt mit seiner Offenheit und mit seiner Fähigkeit, Unterschiedlichkeit zu akzeptieren, verändert. Erzbischof Hočevar wird oft als Mann des Dialogs bezeichnet. Diese Beschreibung ist keine hohle Phrase, sondern sie charakterisiert seinen ehrlichen Versuch, verschiedene Menschen anzuhören und einander zu verstehen. Daher könnte man sagen, dass jetzt der richtige Augenblick ist, um die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und der SOK zu vertiefen.

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bremer.