Generation 1 nach der Wende

aus OWEP 3/2019  •  von Jacek Piłka

Jacek Piłka (geb. 1989) wurde im Jahr des Mauerfalls im polnischen Sosnowiec geboren. Er gehört zur ersten Generation, die nach diesen Umbrüchen in Polen aufwuchs, und arbeitet heute als Berufssoldat.

Jacek Piłka (Foto: privat)

Mein Name ist „Piłka“, was auf Polnisch „Ball“ bedeutet. Meine Mutter heißt mit Nachnamen „Piłka-Lewandowska“, den Fans von Bayern München sagt der zweite Name sicher etwas, keine schlechte Kombination, oder? Ich kam in dem Jahr zur Welt, in dem es in Polen und ganz Ostmitteleuropa große Systemveränderungen gab. Im April 1989, als ich in Sosnowiec geboren wurde, hatten die Veränderungen zwar noch nicht begonnen, aber die Strukturen in „unserem Block“ lösten sich bereits langsam auf. Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber ich weiß, dass es für meine Eltern schwierig war. Sie arbeiteten in einer so genannten privaten Initiative, das heißt, sie besaßen mehrere Lebensmittelgeschäfte in Katowice, die ein gutes Einkommen brachten. Sie lebten gut davon und konnten mich und meine zwei Geschwister problemlos versorgen, wir fuhren sogar im eigenen Auto in den Urlaub. Für sie bedeutete das Jahr 1989 ein langsames, aber stetiges Abgleiten. Bisher waren ihre Lebensmittelläden konkurrenzlos gewesen, jetzt tauchten neue Geschäfte auf, dann molochartige Großmärkte wie Auchan und andere westliche Ketten. Hinzu kamen Diebstähle in den Geschäften – ein Einbruch war besonders bitter. Der Laden, den man von den Fenstern der Wohnung aus sah (im Plattenbau, Häuschen ergatterte man nicht), wurde professionell ausgeraubt: Die Einbrecher waren sehr gut vorbereitet. Sie entfernten die Gitter und trugen Alkohol und Zigarettenstangen heraus, das war das Wertvollste; aber selbst Fahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr, die einen beträchtlichen Batzen „geschmolzenes“ Bargeld meiner Eltern ausmachten. Ich erinnere mich daran, dass ich damals zum ersten Mal Wodka trank und noch nicht verstand, was passiert war. Die Stimmung war sehr niedergeschlagen. Meine Eltern mussten sich damals sehr verschulden, um weiter zu machen. Ich habe jedoch nie etwas von der verschlechterten Situation gemerkt, weil sie sich darum bemüht haben, uns Kinder nichts davon spüren zu lassen.

Als Schüler erlebte ich die Schulreform und gehörte zum dritten Jahrgang im neuen System, in dem es sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Gymnasium und drei Jahre Lyzeum gab – eine Umstellung, die die aktuelle polnische Regierung gerade rückgängig gemacht hat (jetzt gibt es wieder acht Jahre Grundschule und vier Jahre Mittelschule). Meine älteren Kumpels hatten damals auch nachmittags Unterricht, sogar bis 19 Uhr.

Ich bin Berufssoldat. Früher war ich Sportler, ich habe ca. 50 Boxkämpfe ausgetragen und Bronzemedaillen von den polnischen Meisterschaften zu Hause. Ich erinnere mich, dass ich mit unserem Verein bei internationalen Wettkämpfen in Halle war, als Papst Johannes Paul II. starb, das war am 2. April 2005. In Polen wurden Spiele, Wettkämpfe und Konzerte unterbrochen – in Halle wurde die Information durchgesagt ... und wir kämpften weiter.

Damals hatte ich keinen Pass, der Verein besorgte mir einen. Mit 21 bin ich dann das erste Mal alleine ins Ausland gefahren, zum Arbeiten nach Holland und England. In der Schule habe ich Englisch und Deutsch gelernt, in Englisch Abitur gemacht, die Sprache beherrsche ich sehr gut. Ich bin mit Cartoon Network aufgewachsen, damals gab es das nur über Satellit und nur auf Englisch, auch die ersten Computerspiele waren nur auf Englisch. Mein älterer Bruder führte mich in die Welt der Computer ein: Amiga, Commodore, PlayStation.

Ich erinnere mich an den Beitritt Polens zu NATO und EU, ich freute mich über die offenen Grenzen, ich konnte reisen und Geld verdienen, zum Beispiel für ein Auto. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es früher anders war, ich weiß nicht, was ein Streik oder leere Regale in den Läden bedeuten, Dinge sind für mich keine Fetische, Träume, Ziele. Meine Eltern hängen sehr an bestimmten Sachen, die keinen großen finanziellen Wert haben, aber mit Sicherheit bedeuten sie für sie etwas völlig anderes als für mich oder meine Freundin. Früher haben sie sich sehr angestrengt, um die Sachen kaufen zu können, wahrscheinlich waren sie nicht so verfügbar wie heute, und ihre Wertschätzung für die Dinge ist eine andere. Mein Vater ist nicht verschwenderisch, aber andererseits verstehe ich, dass ihn früher sicherlich jeder verdiente Złoty sehr viel Arbeit, Anstrengung und Verzicht gekostet hat. Deshalb geht er heute wertschätzend mit dem Geld um. Meine Freundin Kasia ist 29 und sieht einen großen Unterschied im Laufe ihres Lebens: Bei Geschäften mit Kleidung und Kosmetik zum Beispiel – früher war das viel schwieriger, man hat das irgendwie „organisiert“.

Politisch behält Lech Wałęsa für mich auf jeden Fall große Symbolkraft; allerdings der „alte“, bevor er sich seinem Konkurrenten Aleksander Kwaśniewski gegenüber so rüpelhaft verhielt. Heute finde ich seine Kommentare zur Tagespolitik oft überflüssig, manchmal macht er sich lächerlich. Es wäre besser, wenn er das große Symbol für die Solidarność und den polnischen Weg zur Freiheit bliebe, weil er damals wirklich etwas bewegt hat. Dafür gebührt ihm Respekt.

Aus dem Polnischen übersetzt von Dorothea Traupe.