„Pontevedro“

(Textkasten)
aus OWEP 4/2018  •  von Christof Dahm

Zu den bekanntesten Werken Franz Lehárs gehört die 1905 in Wien uraufgeführte „Lustige Witwe“, deren Protagonisten aus dem fiktiven Land Pontevedro mit der Hauptstadt Letinje stammen. Nur ein Eingreifen der Zensur hatte verhindert, dass das fiktive Balkanfürstentum mit dem richtigen Namen genannt wurde – dem Publikum war aber natürlich klar, dass das Libretto der Operette auf die finanziellen Nöte und andere Formen von Misswirtschaft auf dem „unzivilisierten“ Balkan anspielte. Die Operette spiegelte in heiterer Form eine weitverbreitete Haltung der Geringschätzung, oft sogar Verachtung in West- und Mitteleuropa gegenüber den Balkanstaaten (man denke auch an Bismarcks Urteil von den „Hammeldieben“ oder Äußerungen Kaiser Wilhelms II. über König Nikola I. als „alten Räuberhauptmann“). Dass sich solche Einstellungen lange gehalten haben (und vielfach bis heute bestehen), belegt auch der 1962 erschienene Roman „König Bogumil König“ von Hugo Hartung, der in einem Balkankönigreich namens Ironesien mit der Hauptstadt Wušpitje spielt.