Zentralasien: Regionale Zusammenarbeit als Perspektive für die Zukunft

aus OWEP 4/2020  •  von Beate Eschment

Dr. Beate Eschment ist Wissenschaftlerin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Sie ist Expertin für Zentralasien und war von 2008 bis 2019 Redakteurin der „Zentralasien-Analysen“. Am ZOiS bearbeitet sie derzeit ein Projekt über Identitätsbildung und Interessenvertretung der kleineren nationalen Minderheiten in Kasachstan.

Zusammenfassung

Die fünf Staaten Zentralasiens eint neben ihrer geografischen Lage auch eine lange gemeinsame Geschichte und das problematische Erbe der Sowjetzeit. Dennoch bestanden in den ersten drei Jahrzehnten der Unabhängigkeit eher schwierige bilaterale Beziehungen zwischen Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Heute lässt vor allem die veränderte Politik Usbekistans erwarten, dass einige zwischenstaatliche Probleme gelöst werden und Zentralasien als Region stärker zusammenwächst.

Knapp 30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ist Zentralasien als das Zentrum des eurasischen Kontinents für viele Westeuropäer immer noch eine terra incognita. Zentralasien ist kein geografisch fest definierter Begriff. Über Jahrhunderte wurde der Raum einschließlich des in der heutigen Volksrepublik China liegenden Xinjiang als Turkestan bezeichnet, in der Sowjetzeit wurde von Mittelasien und Kasachstan gesprochen. Heute hat sich Zentralasien als zusammenfassende Bezeichnung für die fünf südlichen ehemaligen Unionsrepubliken der Sowjetunion durchgesetzt.1

Eine von außen generierte zusammenfassende Bezeichnung ist allerdings das eine, tatsächliche Gemeinsamkeiten und eine regionale Identität oder Zusammenarbeit etwas ganz anderes. Im Folgenden sollen daher die wichtigsten Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den fünf Staaten dargelegt werden sowie aktuelle Perspektiven für ein einig auftretendes Zentralasien.

Gemeinsame Geschichte

Nicht nur die Bezeichnung der Region ist neu, auch die fünf Staaten sind es. Zwar war der Raum seit Jahrtausenden besiedelt. Samarkand und Buchara, auch Osch im heutigen Kirgistan, waren frühe Zentren des Islam und Hochkulturen, jedoch bestanden keine staatlichen Gebilde mit einer sich national definierenden Bevölkerung. In dem riesigen Raum wechselten sich verschiedene Herrscher ab, die ein despotisches Regiment ausübten. Sie herrschten über eine in den Steppen und Bergen nomadische, entlang der Flussläufe und in den Städten sesshafte Bevölkerung, die vielfältig war – turk- und persischsprachig, meist muslimisch, aber auch vielfach animistisch. Zentralasien bildete ein faszinierendes, aber nach dem Niedergang der Seidenstraße im Spätmittelalter2 völlig weltabgeschiedenes und rückständiges Gemisch von Herrschaftsräumen, Lebensweisen und Identitäten, das überhaupt nicht europäischen Vorstellungen von Staat und Nation entsprach.

Zentralasien befindet sich in einem rasanten Wandel, aber trotz aller Modernisierung gibt es auch solche Landschaften wie hier in Kirgistan, wo die Gipfel des Tien-Shan-Gebirges auf mehr als 7.000 Meter ansteigen. (Foto: Birgit Wetzel)

Schon das Zarenreich hatte nach seiner Eroberung des Raumes während des „Great Game“ im 19. Jahrhundert die Region in Kontakt mit der Außenwelt gebracht, der entscheidende Einschnitt erfolgte nach der Entstehung der Sowjetunion. Nun wurden neue Grenzen gezogen und nie zuvor bestehende Verwaltungseinheiten geschaffen, erst danach wurde den Bewohnern der neuen Republiken neben dem Sowjetpatriotismus auch eine nationale Identität verpasst. Die alten traditionellen Stammes- oder Regionalidentitäten blieben aber eher unauffällig weiterhin erhalten.

Mit dem Ende der Sowjetunion begann eine ganz neue Ära für die Region. Doch anders als in der Ukraine oder im Baltikum erklärten die zentralasiatischen Staaten sich nicht auf Druck ihrer Bevölkerung für unabhängig, sondern erst getrieben von den äußeren Ereignissen: Den Anfang machte Kirgistan unmittelbar nach dem Moskauer Putsch am 31. August 1991, einen Tag später folgte Usbekistan. Nach Tadschikistan (9. September 1991) und Turkmenistan (27. Oktober 1991) erklärte ganz zuletzt Kasachstan am 16. Dezember 1991 seine Unabhängigkeit – kurz bevor die Sowjetunion aufhörte zu bestehen.

Neue Grenzen und Suche nach nationaler Identität

Die neuen Republiken verbindet neben der geografischen Lage und gemeinsamen Geschichte vor allem das Erbe der rund 70jährigen Sowjetgeschichte. Das betrifft nicht nur Grenzziehung und Infrastruktur, sondern auch sozio-ökonomische Daten, die Kenntnis der russischen Sprache sowie ein Gemisch aus traditionellen und sowjetischen Wertvorstellungen. Von außen betrachtet schien das genug, um die fünf Staaten eben unter dem Begriff „Zentralasien“ zusammenzufassen, sie außenpolitisch gemeinsam zu behandeln und zu regionaler Zusammenarbeit aufzufordern.

In den betroffenen Staaten hatte man aber ganz andere Vorstellungen. Neben den erforderlichen Schritten zur Bewahrung der Stabilität und Errichtung der Eigenstaatlichkeit wurde gleichzeitig nach einer eigenen nationalen Identität gesucht, was auch bedeutete, dass man sich von Nachbarstaaten eher abgrenzte. Waren in der Sowjetzeit die Grenzen zur Nachbarrepublik kaum zu bemerken, wurden sie jetzt zu unüberwindbaren Barrieren. In einigen Fällen wurden Angehörige einer Familie nun zu Bürgern verschiedener Staaten. Es entstand auch eine für junge Nationalstaaten ganz typische Konkurrenz, etwa um die angeblich ältesten historischen Ausgrabungen oder um die historisch „erfolgreichsten“ Herrscher, aber auch um internationale Aufmerksamkeit sowohl auf diplomatischem Parkett als auch bei möglichen Investoren.

Wachsende ökonomische Unterschiede

Bereits in der Sowjetzeit gab es große ökonomische Unterschiede zwischen den fünf Republiken. Das schon damals führende Kasachstan setzte sich auch in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit trotz mehrerer Krisen und mangelnder Diversifizierung seiner Wirtschaft noch klarer von den anderen Staaten ab. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird für 2018 mit 172,9 Milliarden US-Dollar angegeben.3 Das Land verdankt diese Erfolge vor allem seinen Rohstoffvorkommen, denn Erdöl macht ca. 60 Prozent der kasachischen Exporte aus. Positiv wirkt sich aber auch eine vergleichsweise größere Rechtssicherheit als in den anderen Staaten und der höhere Anteil privatisierter Unternehmen aus.

Der mit heute rund 33,3 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Staat der Region, Usbekistan, hatte ebenfalls keine schlechten Ausgangsbedingungen. Allerdings trieben fehlende Rechtssicherheit, ausbleibende Privatisierung sowie eine erratische Außen- und Wirtschaftspolitik in der Ära des langjährigen ersten Präsidenten Islam Karimow das Land fast in die Zahlungsunfähigkeit. Millionen von Usbeken waren gezwungen, in Russland oder in Kasachstan Arbeit zu suchen. Die Landwirtschaft, vor allem der in ökonomischer, ökologischer und menschenrechtlicher Hinsicht problematische Anbau von Baumwolle („weißes Gold“), hat mit 50,5 Milliarden US-Dollar nach wie vor den größten Anteil am BIP. Der heutige Präsident Schawkat Mirsijojew versucht seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren, politische Reformen durchzusetzen, auch um ausländisches Kapital und Investoren anzulocken.

Turkmenistan hat eine bis heute nicht reformierte Staatswirtschaft. Das BIP für 2018 wird mit 40,8 Milliarden US-Dollar angegeben. Fast 80 Prozent der Exporte bestehen aus Erdgas und Erdöl. Allerdings gibt es aus dem nach außen völlig abgeschotteten Land nur wenige belastungsfähige Zahlen. Vieles spricht dafür, dass der Staat sich seit 2016 in einer schweren Wirtschaftskrise und entsprechender Finanznot befindet.

Die Hochgebirgsstaaten Kirgistan und Tadschikistan, deren sozioökonomische Kennzahlen sie schon in der Sowjetzeit als die beiden ärmsten Republiken der gesamten Union auswiesen, stehen auch heute noch am Ende der Reihe. Wenig industrialisiert, mit logistisch schwierigem Terrain, politisch instabil sowie ohne nennenswerte Erdöl- und Erdgasvorkommen, sind sie für ausländische Investoren wenig attraktiv. Eine schlechte Wirtschafts- und Finanzpolitik tut ihr übriges. Große Teile der Bevölkerung sind gezwungen, sich vor allem in Russland Arbeit zu suchen. Die Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten sichern das Überleben nicht nur der zurückgebliebenen Familien, sondern auch der Staaten. Im Falle Tadschikistans lagen sie nach Angaben der russischen Zentralbank 2018 bei 2,5 Milliarden US-Dollar – das BIP wird für das gleiche Jahr auf 7,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Für Kirgistan kommen durch die Arbeitsmigration 2,4 Milliarden US-Dollar ins Land und das BIP lag bei 8,1 Milliarden US-Dollar.

Was dieser sehr unterschiedliche ökonomische Entwicklungsstand für die soziale Situation der jeweiligen Bevölkerung bedeutet, lässt sich gut daran erkennen, dass Kasachstan im letzten Human Development Index (HDI)4 2019 auf Rang 50 (von 189 Staaten) und damit zu der Gruppe der höchstentwickelten Staaten der Erde gehörte. Usbekistan und Turkmenistan folgen mit Riesenabstand (beide 108), Kirgistan nimmt den 122. und Tadschikistan den 125. Rang ein. Damit befinden sie sich auf dem Niveau von El Salvador oder den Kapverden.

Autoritäre Systeme als Gemeinsamkeit

Während sich die Staaten Zentralasiens ökonomisch auseinanderentwickelten, wurden sie sich in ihren politischen Systemen immer ähnlicher. Eigentlich hatten sich alle Anfang der 1990er Jahre für Verfassungen entschieden, in denen auf dem Papier Demokratie und Menschenrechte garantiert wurden. Tatsächlich entwickelten sie sich aber zu autoritären Regimen, in denen die jeweiligen Präsidenten ihre Macht ausbauten. Wahlen werden zwar regelmäßig, aber meist „orchestriert“ durchgeführt. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nicht gewährleistet, Menschen werden aus politischen Gründen verfolgt und abgeurteilt. Auch Folter kommt immer wieder vor. Gleichzeitig ist Korruption weit verbreitet und die Eliten in allen Staaten bereichern sich dadurch. Im Corruption Perception Index (CPI) von 2019 schneidet Kasachstan mit Rang 113 unter den zentralasiatischen Staaten noch am besten ab, Turkmenistan auf Platz 165 (von 180) am schlechtesten.5

In Turkmenistan etablierte sich nach der Unabhängigkeit ein besonders autoritäres Regime. Den ehemaligen Parteichef der Turkmenischen Sozialistischen Sowjetrepublik, Saparmurat Nijasow, machte die neue Verfassung schon 1992 zum mächtigsten Präsidenten in der Region, was er sich 1993 durch das ihm ergebene Ein-Parteien-Parlament bestätigen ließ. Von nun an nannte er sich „Turkmenbashi“ („Führer der Turkmenen“) und seine goldene Büste drehte sich im Zentrum der Hauptstadt Aschgabat im Lauf der Sonne. Nach dem Tod des Alleinherrschers 2006 folgte ihm nicht etwa der nach der Verfassung vorgesehene Übergangspräsident, sondern der Zahnarzt des Verstorbenen, Gurbanguly Berdimuhamedow, der bis heute das Präsidentenamt bekleidet. Es wurden zwar Wahlen abgehalten, aber weder fair noch frei. Turkmenistan gehört neben Nordkorea zu den abgeschottetsten Staaten der Welt. Was nach außen dringt, ist bestenfalls bizarr, meist aber erschreckend. So verschwinden Menschen immer wieder spurlos in Lagern. Der allmächtige Präsident entscheidet alles, selbst die Farbe der Autos in der Hauptstadt. Er rügt Regierungsmitglieder, als wären sie Schüler, und lässt sich als Sieger bei Pferde-, Auto- oder Fahrradrennen feiern. Derzeit ist Berdimuhamedow offenbar dabei, eine Erbfolge zu etablieren, die sein Sohn Serdar (Jahrgang 1981) antreten soll. Nachdem der Vater ihn bereits zum stellvertretenden Außenminister und zum Gouverneur berief, bekleidet er seit Februar 2020 ein Ministeramt (Industrie).

Turkmenistan hatte offensichtlich eine gewisse Vorbildfunktion für die Staatsmänner der anderen zentralasiatischen Staaten, auch wenn es natürlich landestypische Unterschiede gibt und die Verhältnisse anderswo nicht ganz so extrem waren. Auch in Kasachstan und Tadschikistan lässt sich eine Tendenz zum Personenkult feststellen. In Usbekistan und Kasachstan kam es bereits zum Wechsel im höchsten Staatsamt. In beiden Fällen wurde der Machtwechsel innerhalb der politischen Elite geregelt.

Kirgistan galt in den 1990er Jahren wegen seines parlamentarischen Systems und einer, wie es schien, sehr aktiven Zivilgesellschaft als „Insel der Demokratie“. Inzwischen hat es sich eher als schwacher denn als demokratischer Staat erwiesen. Das Land wurde zwar seit seiner Unabhängigkeit von sechs verschiedenen Präsidenten regiert, die meist durch freie und faire Wahlen ins Amt kamen. Allerdings wurden die beiden ersten durch so genannte Revolutionen gestürzt. Mit Ausnahme der nur für ein Jahr regierenden Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa zeigten alle kirgisischen Staatsoberhäupter die Tendenz, ihre Macht auszubauen und sich zu bereichern. Obwohl Kirgistan liberaler wirkt als die Nachbarländer, gibt es auch dort politische Gefangene und verfolgte Journalisten. In knapp 30 Jahren Unabhängigkeit gab es je nach Zählweise zwei oder drei Verfassungen bzw. mehrere grundlegende Änderungen der Regierungsform und mehr als hundert Parteien. 30 Premierminister kamen ins Amt, die häufig nach Ende ihrer Regierungszeit wegen Korruption und Machtmissbrauch im Gefängnis landeten. Diese Entwicklungen ließen das Land in den Augen der Nachbarn als Hort der Anarchie erscheinen.6 Die Autokraten hatten Angst, ein „Revolutionsvirus“ könne aus Kirgistan über die Grenze schwappen. Vor allem Usbekistan schottete sich in der Ära Karimow ab und versah Teile der gemeinsamen Grenze mit Stacheldrahtzäunen und Minen, um den Grenzübertritt fast unmöglich zu machen.

Konflikte zwischen den Nachbarn

Die Ähnlichkeit der politischen Regime stellt zwar eine Gemeinsamkeit der fünf Staaten dar, wirkt aber nicht vereinigend, sondern behindert im Gegenteil die regionale Zusammenarbeit. Daran konnte selbst die von allen als bedrohlich empfundene Nähe zu den beiden benachbarten Großmächten, der Russischen Föderation und der Volksrepublik China, nichts ändern. Der Wunsch der einzelnen Präsidenten, ihre eigene Machtfülle zu sichern, bestimmte oftmals auch ihre Außenpolitik. Persönliche Abneigungen und Ängste überwogen manchmal die Interessen des Staates.

Gute nachbarschaftliche Beziehungen sind in der Region besonders wichtig, denn die Sowjetunion hat in Zentralasien ein problematisches Erbe hinterlassen. Eisenbahnlinien, Hochspannungsleitungen und Bewässerungskanäle wurden einst gebaut, ohne die Grenzen zwischen den Sowjetrepubliken zu berücksichtigen. Die zu Staatsgrenzen verwandelten früheren Republikgrenzen teilen beispielsweise im Ferghanatal Häuser und ganze Dörfer. Vor allem sind es aber bis heute nicht eindeutig geregelte Grenzabschnitte, die zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bürgern der grenznahen Bezirke zweier Staaten führen und die zwischenstaatlichen Beziehungen belasten. Kommissionen zur Festlegung der Grenzen tagen seit vielen Jahren, kommen aber bislang nur langsam voran.

Zum Sowjeterbe gehört auch der eng verwobene Wasser- und Energiekomplex. Vereinfacht gesagt, haben die armen Gebirgsstaaten Kirgistan und Tadschikistan das Wasser, das die „Unterlieger“ für ihre Landwirtschaft benötigen. Diese verfügen dafür über das „oben“ nicht vorhandene Erdöl und Erdgas. In der Sowjetzeit erfolgte der Austausch von Wasser und Energie auf Anordnung von Moskau. Die unabhängigen Republiken konnten sich nicht untereinander einigen: Die einen drehten den Gashahn zu, die anderen begannen daraufhin, ihr Wasser zur Energiegewinnung zu nutzen. Dadurch kam das Wasser nicht mehr im Sommer auf den Baumwollfeldern der Unterlieger an, sondern erst in der Heizperiode im Winter. Lösungen schienen von außen betrachtet auf der Hand zu liegen, aber die Konflikte verschärften sich so sehr, dass der ehemalige usbekische Präsident schon von „Wasserkriegen“ sprach.

Im Verhältnis der fünf Staaten untereinander spielt der gemeinsame Glaube, der (meist sunnitische) Islam, bislang keine erkennbar einigende Rolle.7 Es gibt eher eine gemeinsame Angst vor islamistischem Extremismus und Terrorismus sowie einen Kampf der Regierungen dagegen, durchaus auch mit repressiven Maßnahmen.

Internationale Mitgliedschaften

Nicht nur die bilaterale Zusammenarbeit der zentralasiatischen Staaten war schwierig. Es gibt bis heute auch keine multilaterale politische Organisation, in der sich allein die fünf zentralasiatischen Staaten zusammengeschlossen hätten. Mitgliedschaften existieren nur in Zusammenschlüssen, in denen auch die benachbarten Großmächte Russland, China oder weitere Staaten beteiligt sind. Turkmenistan versteht sich als neutraler Staat und hält sich deshalb unter Berufung auf seinen von der UNO anerkannten Neutralitätsstatus von allen Zusammenschlüssen fern, außer der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS).

Die anderen vier zentralasiatischen Staaten sind in internationalen Organisationen auch nicht gleichmäßig vertreten: So sind in der „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS), einem von der Russischen Föderation geführten Sicherheits- und Militärbündnis, derzeit nur Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan Mitglieder. Usbekistan ist zweimal ein- und dann wieder ausgetreten. In der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ (EAWU) sind aus Zentralasien derzeit nur Kasachstan und Kirgistan als Mitglieder beteiligt (neben Russland, Belarus und Armenien). Usbekistan hat seit März 2020 Beobachterstatus, Tadschikistan erwägt den Beitritt seit mehreren Jahren. Einzig der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SOZ) gehören neben Russland und China auch Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an (daneben seit 2017 auch Indien und Pakistan).

Hoffnungsschimmer für die Zukunft

In den vergangenen drei Jahren gibt es allerdings immer mehr Anzeichen dafür, dass die nachbarschaftlichen Beziehungen sich in naher Zukunft verbessern könnten. Auch eine mögliche gemeinsame Interessenvertretung von zumindest vier der fünf zentralasiatischen Staaten wird wahrscheinlicher. Eine Schlüsselrolle bei dieser Entwicklung nimmt Usbekistan ein. Das Land grenzt als einziges an alle anderen zentralasiatischen Staaten und spielt deshalb eine zentrale Rolle für die Zusammenarbeit in der Region. Unter Präsident Karimow war die usbekische Blockadehaltung lange ein wesentliches Hindernis. Sein Nachfolger Mirsijojew, der das Land wirtschaftlich voranbringen will, räumt den guten Beziehungen zu den Nachbarn hohe Priorität ein. Er hat offensichtlich erkannt, dass Usbekistan schon wegen seiner geografischen Lage – in allen Richtungen durch zwei andere Staaten vom offenen Meer getrennt – auf gute Nachbarschaft angewiesen ist.

Einige Probleme wurden bereits aus dem Weg geräumt, vor allem in den Beziehungen zu Kirgistan. Außerdem gelang es dem usbekischen Präsidenten 2018 erstmals seit neun Jahren, wenigstens vier der fünf Staatsoberhäupter wieder gemeinsam an einen Tisch zu bringen – und das ohne weitere Gäste. Der damalige kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew erklärte bei dieser Gelegenheit, dass die zentralasiatischen Staaten ihre Probleme alleine lösen könnten. Zum Folgetreffen 2019 kam dann sogar der turkmenische Präsident.

Turkmenistan wird voraussichtlich weiterhin eher am Rande stehen. An der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan besteht nach wie vor ein hohes Konfliktpotenzial. Dennoch ist derzeit vorsichtiger Optimismus angesagt. Wie in fast allen jungen Nationalstaaten bestand auch in Zentralasien nach der Unabhängigkeit zunächst das Bestreben, Souveränitätsrechte auszuleben und sich in der Welt neu zu positionieren.

Jetzt ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, wo eine stärkere Annäherung der Staaten untereinander möglich wird. Davon könnte die Region menschlich, politisch und ökonomisch profitieren. Darüber hinaus besteht die Hoffnung, dass die zentralasiatischen Staaten in naher Zukunft gemeinsam ihre Interessen im eurasischen Raum, aber auch auf der internationalen Bühne, erfolgreicher vertreten können.


Fußnoten:


  1. Zur geografischen Einordnung vgl. auch die Skizze in der Rubrik "Kurzinfo" bzw. auf S. 242 (der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  2. Mit dem Begriff „Seidenstraße“ werden die weitverzweigten Handelswege zwischen China und dem Mittelmeerraum bezeichnet, auf denen von der Antike bis ins späte Mittelalter ein reger Warenverkehr und auch geistiger Austausch zwischen Asien und Europa stattfand; durch Zentralasien verliefen wichtige Routen. Vgl. dazu ausführlich Rudolf A. Mark: Zwischen Orient und Okzident: Die Seidenstraße. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 15 (2014), H. 3, S. 230 - 239 (der gedruckten Ausgabe). – Die „neue Seidenstraße“ knüpft an ihre Tradition an; vgl. dazu den Beitrag von Birgit Wetzel in diesem Heft. ↩︎

  3. Für 2019 laut die Prognose 170,33 Milliarden US-Dollar (alle folgenden ökonomischen Daten nach Angaben der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing (Germany Trade and Invest/GTAI). ↩︎

  4. http://hdr.undp.org/en/content/2019-human-development-index-ranking ↩︎

  5. https://www.transparency.de/cpi/cpi-2019/cpi-2019-tabellarische-rangliste/?L=0 ↩︎

  6. Die aktuelle Entwicklung scheint dies zu bestätigen, denn seit den Parlamentswahlen am 4. Oktober 2020 ist die innenpolitische Lage in Kirgistan völlig verworren; vgl. dazu den Beitrag von Aigerim Turgunbaeva in diesem Heft. ↩︎

  7. Vgl. dazu auch den Beitrag von Jeanine Dağyeli in diesem Heft.. ↩︎