EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels vom 5. April 2011 (Auszug)

aus OWEP 2/2015  •  von  OWEP-Redaktion

Eine Reihe internationaler Abkommen wurde in den vergangenen Jahren mit dem Ziel geschlossen, den Menschenhandel zu bekämpfen, die Opfer zu schützen und die Täter zu verfolgen. Ein zentrales Dokument ist die „Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates“. Aus dem Dokument, das insgesamt 25 Artikel umfasst, werden nachstehend einige Auszüge wiedergegeben (Quelle: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:101:0001:0011:DE:PDF). – Die Richtlinie wurde noch nicht in allen Mitgliedsstaaten der EU in nationales Recht umgesetzt; auch in Deutschland ist das Gesetzgebungsverfahren erst im Januar 2015 angelaufen.

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION — … (HABEN) …
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) Menschenhandel ist eine schwere Straftat, die häufig im Rahmen der organisierten Kriminalität begangen wird und bei der es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundrechte handelt, der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verboten ist. Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist für die Union und die Mitgliedsstaaten ein vorrangiges Ziel.

(8) Kinder sind schutzbedürftiger als Erwachsene und daher stärker gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Bei der Anwendung der Richtlinie muss das Wohl des Kindes entsprechend der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 eine vorrangige Erwägung sein.

(14) Die Opfer des Menschenhandels sollten im Einklang mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedsstaaten vor strafrechtlicher Verfolgung oder Bestrafung wegen strafbarer Handlungen wie der Verwendung falscher Dokumente oder Verstößen gegen die Prostitutions- oder Einwanderungsgesetze geschützt werden, zu denen sie als unmittelbare Folge davon, dass sie dem Menschenhandel ausgesetzt waren, gezwungen wurden. Mit diesem Schutz wird das Ziel verfolgt, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, ihre weitere Viktimisierung zu vermeiden und sie dazu zu ermutigen, in Strafverfahren als Zeugen gegen die Täter auszusagen. Dieser Schutz sollte eine strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen Straftaten nicht ausschließen, die eine Person willentlich begangen hat oder an denen sie willentlich teilgenommen hat.

FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1
Gegenstand

Mit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich Menschenhandel festgelegt. Des Weiteren werden gemeinsame Bestimmungen zur Stärkung der Prävention und des Opferschutzes unter Berücksichtigung der Geschlechterperspektive eingeführt.

Artikel 2
Straftaten im Zusammenhang mit dem Menschenhandel

(1) Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die nachstehenden vorsätzlich begangenen Handlungen unter Strafe gestellt werden: Die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über eine andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung.
(2) Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt vor, wenn die betreffende Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen.
(3) Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme.
(4) Das Einverständnis eines Opfers von Menschenhandel zur beabsichtigten oder tatsächlich vorliegenden Ausbeutung ist unerheblich, wenn eines der in Absatz 1 aufgeführten Mittel vorliegt.

Artikel 3
Anstiftung, Beihilfe und Versuch

Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Anstiftung oder Beihilfe zur Begehung einer Straftat nach Artikel 2 sowie die versuchte Begehung einer Straftat nach Artikel 2 unter Strafe gestellt werden.

Artikel 4
Strafen

(1) Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht ist.
(2) Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren bedroht ist, wenn:
a) sie gegen ein Opfer begangen wurde, das besonders schutzbedürftig war; dazu gehören im Kontext dieser Richtlinie zumindest Opfer im Kindesalter …
b) sie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung im Sinne des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität … begangen wurde;
c) durch sie das Leben des Opfers vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet wurde; oder
d) sie unter Anwendung schwerer Gewalt begangen oder dem Opfer durch die Straftat ein besonders schwerer Schaden zugefügt wurde.

Artikel 8
Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer

Die Mitgliedsstaaten treffen im Einklang mit den Grundsätzen ihrer Rechtsordnung die Maßnahmen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die zuständigen nationalen Behörden die Befugnis haben, Opfer des Menschenhandels wegen ihrer Beteiligung an strafbaren Handlungen, zu der sie sich als unmittelbare Folge davon, dass sie Straftaten im Sinne des Artikels 2 ausgesetzt waren, gezwungen sahen, nicht strafrechtlich zu verfolgen oder von einer Bestrafung abzusehen.

Artikel 11
Unterstützung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels

(1) Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfer vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens Unterstützung und Betreuung erhalten, damit sie in der Lage sind, die in dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI und in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte in Anspruch zu nehmen.

(4) Die Mitgliedsstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Opferbetreuungsorganisationen geeignete Verfahren für die frühzeitige Erkennung, Unterstützung und Betreuung von Opfern festzulegen.

Artikel 12
Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren

(1) Die in diesem Artikel genannten Schutzmaßnahmen werden zusätzlich zu den im Rahmenbeschluss 2001/220/JI festgelegten Rechten angewandt.

(3) Die Mitgliedsstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel auf der Grundlage einer individuellen Risikoabschätzung angemessen geschützt werden, unter anderem indem sie gegebenenfalls und im Einklang mit den nationalen Rechts- und Verfahrensvorschriften Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen erhalten.
(4) Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedsstaaten sicher, dass Opfer von Menschenhandel entsprechend einer von den zuständigen Behörden vorgenommenen Einschätzung ihrer persönlichen Umstände eine besondere Behandlung zur Verhinderung sekundärer Viktimisierung erhalten, wobei im Einklang mit den durch das nationale Recht, richterliches Ermessen, Gepflogenheiten oder Leitlinien festgelegten Grundlagen Folgendes so weit wie möglich zu vermeiden ist:
a) nicht erforderliche Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens;
b) Sichtkontakt zwischen Opfer und Beschuldigten, auch während der Beweisaufnahme, zum Beispiel bei Gesprächen und kontradiktorischen Befragungen, durch geeignete Mittel, einschließlich Kommunikationstechnologie;
c) Zeugenaussagen in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und
d) nicht erforderliche Fragen zum Privatleben.

Artikel 17
Entschädigung der Opfer

Die Mitgliedsstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel Zugang zu bestehenden Regelungen für die Entschädigung der Opfer von vorsätzlich begangenen Gewalttaten erhalten.

Artikel 23
Berichterstattung

(1) Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 6. April 2015, inwieweit die Mitgliedsstaaten die zur Einhaltung dieser Richtlinie notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, wobei sie auch die nach Artikel 18 Absatz 4 ergriffenen Maßnahmen beschreibt, und unterbreitet erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge.
(2) Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 6. April 2016 darüber, wie sich die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die Gegenstand einer Ausbeutung durch Menschenhandel sind, unter Strafe gestellt wird, auf die Verhütung des Menschenhandels auswirken, und unterbreitet erforderlichenfalls geeignete Vorschläge.