1972: Andrei Tarkowski verfilmt „Solaris“

aus OWEP 4/2017  •  von Peter Oliver Loew

Priv.-Doz. Dr. Peter Oliver Loew: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut Darmstadt.

Es war eine Lektion der Langsamkeit: Andrei Tarkowskis Spielfilm Solaris, 1972 in den sowjetischen Kinos angelaufen und im selben Jahr beim Festival von Cannes ausgezeichnet, schildert die Geschichte des Psychologen Kelvin, der auf die um den fernen Planeten Solaris kreisende Raumstation beordert wird, um aufzuklären, was dort vor sich geht. Dort angekommen, begegnet er seiner verstorbenen Frau Hari. Alle noch lebenden Besatzungsmitglieder werden von Doppelgängern ihnen nahestehender, verstorbener Menschen geplagt. Es sind Halluzinationen, die ihnen von dem völlig unverständlichen, intelligenten Ozean, der Solaris umgibt, vorgespiegelt werden. Am Ende entschließt sich Kelvin zu einem radikalen Vorgehen, die Halluzinationen verschwinden, doch das Schicksal der Raummission bleibt ungewiss ...

Tarkowskis sich in langen Szenen entwickelnder, gut zweieinhalb Stunden langer Film greift auf den gleichnamigen Roman des polnischen Zukunftsautors Stanisław Lem zurück, der 1961 auf Polnisch erschien, noch im selben Jahr auf Russisch, aber erst 1972 auf Deutsch. Allerdings wählte er nur den psychologischen Teil der Handlung, während er – zu Lems großem Missfallen – zahlreiche Bestandteile des Buchs, etwa die großartige Schilderung der Wissenschaft über den Planeten Solaris, der „Solaristik“, ganz ausblendete. Der Film wurde oft Stanley Kubricks 1968 fertiggestelltem Film 2001: A Space Odyssee zur Seite gestellt, der ähnlich unkonventionell und völlig jenseits der zeittypischen Technikbegeisterung einen verstörend und betörend inszenierten Zukunftsentwurf lieferte. In einem Ranking der britischen Zeitung „The Guardian“ landete der amerikanische Streifen auf Platz 1 und Tarkowskis Film auf Platz 6 der ewigen Bestenliste der SF-Filme. Auch wenn die offizielle sowjetische Kulturpolitik Tarkowskis Filmschaffen gegenüber skeptisch gegenüberstand, waren es ungewöhnliche und reflektierte Filme wie dieser, die den kommunistischen Ostblock für ein breites Publikum im Westen interessant machte. Stephen Soderbergs Remake von 2002 konnte Tarkowskis Interpretation nicht maßgeblich erweitern – sie bleibt bis heute ein Klassiker der sowjetischen und europäischen Filmgeschichte.