Das Kiewer Höhlenkloster in Geschichte und Gegenwart

Bischof Silvester (Stojtschew) ist als Bischof von Bilohorod Vikar des Metropoliten von Kiew und Rektor der Kiewer Geistlichen Akademie und des Seminars, die sich im Höhlenkloster befinden.

Zusammenfassung

Das Kiewer Höhlenkloster ist nicht nur das bekannteste orthodoxe Kloster in der Ukraine, sondern auch eines der angesehensten der orthodoxen Welt. Der geistliche Einfluss des Klosters bestimmte in vielem das Gesicht des gegenwärtigen orthodoxen Mönchtums in den Staaten des mittleren, östlichen und südöstlichen Europas. Dabei ist der historische Weg des Klosters eng mit der Geschichte der ukrainischen Staatlichkeit und der ukrainischen Kultur verbunden.
Die Ursprünge des Höhlenklosters liegen im 11. Jahrhundert. Monastisches Leben wie auch Architektur sind vom Berg Athos geprägt. Nach langem Niedergang im Spätmittelalter erlebte das Höhlenkloster im 17. Jahrhundert eine neue Blüte und zählt heute zu geistigen Zentren orthodoxen Lebens in der Ukraine.

Ursprünge des Klosters

Die frühesten Quellen äußern sich unterschiedlich über die Gründung des Höhlenklosters zu Kiew und über seine frühe Geschichte. In der Wissenschaft gibt es zwei Traditionen, die sich in zwei Gruppen von Quellen widerspiegeln. Die erste von ihnen wird übereinstimmend „Antoni“-Tradition (nach dem Namen des Klostergründers, des seligen Mönchs Antoni) genannt, die zweite „Feodosi“-Tradition (nach dem Namen des seligen Mönchs Feodosi). Die Chronologien dieser beiden Traditionen unterscheiden sich wesentlich. Daher handelt es sich bei der Rekonstruktion der Frühgeschichte des Höhlenklosters um ein kompliziertes wissenschaftliches Problem.

Die erhaltenen Quellen stimmen darin überein, dass der Beginn des Wirkens der Einsiedler-Mönche in Kiew auf direkten Einfluss des heiligen Berges Athos zurückzuführen ist. Es besteht kein Zweifel, dass der selige Antoni noch als junger Mann auf den Athos ging, wo er die Gelübde ablegte und das Mönchtum annahm. Bald darauf kehrte er nach Kiew zurück und ließ sich im Gebiet des Dorfes Berestowa in einer Höhle (russ.: peschtschera, daher oft der Beiname „Petscherski“) nieder, die vorher der Presbyter Ilarion (der spätere Metropolit von Kiew) hier ausgehoben hatte.

Die ursprüngliche russische Chronik berichtet, dass Antoni Petscherski, als sich um ihn zwölf Schüler geschart hatten, sich eine neue Höhle aushob, in der er 40 Jahre bis zu seinem Tod verbrachte. Da sein Tod in das Jahr 1073 fällt, bedeutet das, dass er vom Athos nicht später als 1033 zurückgekehrt sein kann. Diese Chronologie der Ereignisse stammt aus der nicht auf uns gekommenen alten Vita des seligen Antoni. Nach der zweiten („Feodosi“-)Chronologie kehrte Antoni erst 1051 vom Athos nach Kiew zurück.

Das Höhlenkloster in Kiew wurde zu einer Replik eigener Art des heiligen Berges Athos. Die Kirche des Klosters Xilurgos war der Himmelfahrt der Allerheiligsten Gottesmutter geweiht. Ebenso hat man auch die Kathedrale des Kiewer Höhlenklosters der Himmelfahrt der Allerheiligsten Gottesmutter geweiht. Seit dieser Zeit war die Verbindung mit dem Athos ebenso wie mit dem Schicksal der Allerheiligsten Gottesmutter tief in die altrussische geistliche Tradition eingebettet.

Zwischen Anachoretentum und Gemeinschaftsleben

Die ersten Mitbrüder, die sich um Antoni versammelt hatten, bildeten eine Gemeinde von Anachoreten (Eremiten) und führten eine „einsiedlerische“ Lebensform. Unter den ersten Mitbrüdern des seligen Antoni nennen die Quellen die seligen Nikon und Feodosi. Jedoch erfuhr die Gemeinschaft recht bald eine Umgestaltung.

Schon in dieser frühen Periode des Klosterlebens nahm Antoni einige bedeutende Personen aus der Umgebung des Kiewer Fürsten Isjaslaw Jaroslawitsch (reg. 1054-1078) in seine Gemeinschaft auf. Das rief den Unwillen des Fürsten hervor. Schließlich legte Antoni die Leitung der Gemeinschaft nieder und übersiedelte auf einen benachbarten Hügel (auf dem heutigen Gebiet der „Nahen“ Klosterhöhlen); neuer Leiter der Gemeinschaft wurde der selige Warlaam. Seit dieser Zeit existieren auf den Petscherski-Hügeln zwei Klostergemeinschaften. Eine, mit dem seligen Antoni an der Spitze, führte die Tradition des Anachoretentums fort, die zweite – an ihrer Spitze der selige Warlaam – wurde zu einem Kloster mit gemeinsamem Leben umgestaltet. In den Jahren der Klosterleitung Warlaams entstanden erste oberirdische Klostergebäude (bis dahin hatten die Mönche ausschließlich in Höhlen gewohnt).

Um das Jahr 1062 wurde Feodosi neuer Abt des Höhlenklosters. Seit dieser Zeit gab es in der Gemeinschaft eine strenge Vergemeinschaftung des Besitzes und ein verbindliches gemeinsames Mahl. Alle Mönche waren jetzt in Bezug auf die klösterlichen Arbeiten gleichgestellt. Damals entstanden im Kloster die für byzantinische Klöster typischen Ämter wie Ekklesiarch (Kirchenvorsteher), Ökonom, Küster und Pförtner.

In den Jahren, in denen Feodosi das Kloster leitete, errichtete man Klostergebäude auf dem Gelände der heutigen „Fernen“ Klosterhöhlen. Zugleich bestand auf dem Gelände der „Nahen“ Höhlen – und unabhängig vom Gemeinschaftsleben – die Gemeinde der Anachoreten mit dem seligen Antoni an ihrer Spitze weiter.

Im Jahre 1069 verließ Antoni Kiew infolge eines städtischen Aufstandes und zog vorübergehend nach Tschernigow. Das führte zum Zerfall der Eremitengemeinde. Im März 1073 nahm jedoch der Tschernigower Fürst Swjatoslaw Kiew ein und vertrieb Isjaslaw von dort. Danach kehrte auch Antoni nach Kiew zurück. Es war gerade Swjatoslaw, der den Bau einer steinernen Maria-Himmelfahrts-Kathedrale im Höhlenkloster initiierte. Dabei wurde die Kathedrale in dem Gebiet errichtet, das zu den Nahen Höhlen gehörte (d. h. auf dem Gelände der Bruderschaft des seligen Antoni). Die Quellen berichten von der wichtigen Rolle Antonis bei der Auswahl des Platzes für den Bau der Kathedrale. Die Gemeinde Feodosis in den Fernen Höhlen blieb in Opposition zu Swjatoslaw und beschuldigte ihn der ungesetzlichen Eroberung des Kiewer Thrones.

Antoni starb im selben Jahr 1073 und wurde in den Nahen Höhlen beerdigt. Feodosi starb 1074 und wurde in den Fernen Höhlen bestattet. Unter dem neuen Abt, dem seligen Stefan (Amtszeit: 1074-1078), verschmolzen allmählich beide Gemeinschaften. Die Mehrzahl der Brüder übersiedelte auf das Territorium der Nahen Höhlen, und in den Fernen Höhlen blieben nur einige zur Beerdigung der Verstorbenen und für die Beerdigungsgottesdienste zurück. Seit dieser Zeit ist das Kiewer Höhlenkloster ein einheitlicher Komplex, obwohl seine schwierige ursprüngliche Geschichte sich bis heute in der spezifischen Topografie des Klosters widerspiegelt.

Luftaufnahme des Gesamtkomplexes1

Die besondere Askese der Kiewer Höhlenbewohner

Das Kiewer Höhlenkloster vereinigte also im ersten Jahrzehnt seiner Existenz in sich die beiden klassischen Typen monastischen Lebens – das Einsiedlertum (Anachoretentum) und das Gemeinschaftsleben (Koinobitentum). Dabei lebten die Kiewer Einsiedler in Höhlen, die sie selbst in die Erde gegraben hatten. Dies wurde zu einem spezifischen Zug des altrussischen Mönchtums.

Es ist verständlich, dass Antoni, der den Athos besucht hatte, die Praxis des Höhlenlebens bekannt gewesen ist, wie es unter den östlichen Mönchen verbreitet war. Im Osten jedoch wurden die Höhlen in Fels geschlagen. Das waren trockene Behausungen, die die Brüder vor Wind und Sonne schützten. Aber unter den Kiewer Bedingungen grub man die Höhlen in die Erde, und schon dadurch unterschieden sie sich radikal von den Höhlen des christlichen Ostens. Das Leben in einer feuchten Höhle unter der Erde war eine besondere Art von Askese, die allmählich mit einem Einsiedlerleben verschmolz, sodass sich die Lebenspraxis der Mönche in den Höhlen unter den örtlichen natürlichen Bedingungen bedeutsam veränderte.

Die Höhlenlabyrinthe

Ursprünglich waren die Höhlen ein Ort des Lebens und der Askese der Mönche. Nachdem jedoch die Mehrheit der Brüder in Gebäuden zu leben begann, wurden die Höhlen allmählich zu einem Ort der Bestattung. Wie aus den Texten des Paterikon („Vaterbuch“) des Höhlenklosters zu ersehen ist, bestanden die Höhlen bereits zu Lebzeiten des seligen Antoni aus einem umfangreichen System unterirdischer Korridore. In den folgenden Jahrhunderten wurde dieses System ständig weiterentwickelt.

Blick in den eigentlichen Höhlenbereich2

Heute existieren auf dem Gebiet des Kiewer Höhlenklosters zwei große Höhlenlabyrinthe – das der Nahen und das der Fernen Höhlen. Diese Benennung kam erst später auf und zeigte die Entfernung der Höhlen in ihrer Beziehung zur Hauptkirche des Klosters an, der Maria-Himmelfahrts-Kathedrale. Heute werden in den Höhlen vor allem die Reliquien der zahlreichen Asketen des Klosters verehrt. Außerdem gibt es in den Höhlen einige unterirdische Kirchen, in denen regelmäßig Gottesdienste stattfinden.

Die Länge der Nahen Höhlen beträgt heute 383 m. Sie sind verborgen in einer Tiefe von 10 bis 15 m. Hier befinden sich die Reliquien von 73 Heiligen. Die Länge des Labyrinths der Fernen Höhlen beträgt 293 m. Sie verbergen sich in einer Tiefe von 15-20 Metern. Hier ruhen die Reliquien von 49 Heiligen. Heute sind die Höhlen verputzt, haben elektrisches Licht und sind für Pilger und Besucher zugänglich.

Die Reliquien der alten Seligen des Klosters verwesen nicht. Schon in der Frühzeit der Anlage rief diese Tatsache die Meinung hervor, dass die Unverweslichkeit der Körper der Kiewer Mönche mit besonderen Eigenschaften des örtlichen Bodens zu erklären sei. Es wurde auch die Vermutung geäußert, die Nichtverwesung der Körper von Mönchen hänge mit ihrer Einbalsamierung zusammen. Jedoch haben die Forschungen des 20. Jahrhunderts in den Reliquien keine Spuren von Einbalsamierung nachweisen können.

Die Rolle des Höhlenklosters in Geschichte und Kultur

Das Kiewer Höhlenkloster spielte eine außerordentliche Rolle sowohl in der Geschichte der orthodoxen Kirche der Rus als auch in der Geschichte der altrussischen Literatur, wie überhaupt in der Geschichte der ukrainischen Kultur insgesamt. Im 12. und 13. Jahrhundert gingen mindestens 50 Bischöfe aus ihm hervor. Wann genau das Höhlenkloster den Ehrentitel einer Lawra3 bekam und wann es „stauropegial“, also den Konstantinopler Patriarchen untergeordnet wurde, ist nicht exakt überliefert. Das erste zweifelsfrei echte Dokument, das den Status des Höhlenklosters als stauropegia des Konstantinopler Patriarchen definiert, ist eine Urkunde des ökumenischen Patriarchen Jeremijas II. Tranos aus dem Jahr 1592. Im Jahre 1603 bestätigte Patriarch Rafael II. die stauropegia des Höhlenklosters und dessen Unabhängigkeit von den Kiewer Metropoliten. Damals wurde dieser Status des Klosters auch vom polnischen König, zu dessen Herrschaftsgebiet Kiew zu Beginn des 17. Jahrhunderts gehörte, anerkannt.

Schon im 11. Jh. wurde das Höhlenkloster zu einem wichtigen Zentrum der altrussischen Literatur. Hier begann die Chronikschreibung. Um 1113 schrieb der Mönch Nestor die „Erzählung der vergangenen Jahre“, eine zentrale Quelle für die Geschichte der Kiewer Rus. Im 13. Jahrhundert entstand das Paterikon des Höhlenklosters, eine Sammlung von Viten der Mitbrüder. Als erster berühmter russischer Ikonenmaler gilt der selige Alipij. Ein anderer Mönch des Klosters, der selige Agapit, ist der erste namentlich bekannte altrussische Arzt.

Die Zerstörung des altrussischen Staatswesens durch die Mongolen im Jahre 1240 führte zum Verfall des Höhlenklosters. Nichtsdestoweniger bestand es weiterhin und gehörte zu der Zeit, als die ukrainischen Lande dem Großfürstentum Litauen angeschlossen wurden, zu diesem Staat, später zum polnisch-litauischen Reich. Kiew verlor allerdings seinen Hauptstadtstatus und verwandelte sich in eine periphere Stadt, entfernt von den Zentren des kulturellen Lebens Litauens und Polens. Erst an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert setzte ein neuer kultureller Aufstieg Kiews und des Höhlenklosters ein.

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts genoss das Kloster den militärischen Schutz der ukrainischen Kosaken. Insbesondere nach der Unterzeichnung der Union von Brest im Jahre 1596 hinderte die Unterstützung des Kosakentums die Anhänger der Union mit Rom daran, das Höhlenkloster und seine Besitztümer unter ihre Kontrolle zu bringen – das Kloster blieb orthodox. Nach der Wahl von Jelisej Pletenezki zum Archimandriten (Vorsteher) im Jahre 1599 verwandelte sich das Kloster allmählich wieder in ein einflussreiches kulturelles Zentrum. So entstand ein Gelehrtenkreis, dessen Mitglieder durch ihr maßgebliches Beispiel die Entwicklung der orthodoxen Theologie und die Bildung in den ukrainischen, weißrussischen und litauischen Landen beeinflussten. In diesem Kreis wurde die Idee geboren, in Kiew eine orthodoxe Bruderschaft und eine Schule für alle Stände zu gründen. Das Ergebnis war im Jahre 1615 eine Brüderschule in Kiew, die den Anfang zu einer besonderen Kiewer Bildungstradition legte.

Die Unternehmungen des Klosterzirkels setzte der bedeutende Kiewer Metropolit Petro Mohyla fort. 1627 wurde er Archimandrit des Kiewer Höhlenklosters, 1633 bestieg er den Kiewer Metropolitenthron. Er ließ auf dem Territorium des Klosters bedeutsame Restaurierungsarbeiten durchführen, in deren Ergebnis sich der äußere Anblick des Klosters wesentlich wandelte. Damals bildete sich der Stil des ukrainischen Barocks heraus, wie er für viele Kiewer Kirchen charakteristisch ist. Metropolit Petro erreichte die erste offizielle Kanonisierung von Heiligen aus dem Höhlenkloster – 1643 wurden 69 Kiewer Mitbrüder kanonisiert. Seit dieser Zeit bildete sich auch eine besondere Klostertradition der gottesdienstlichen Verehrung der örtlichen ehrwürdigen Väter heraus. 1631 gründete Archimandrit Petro auf dem Gelände des Höhlenklosters eine Schule, die 1632 mit der Brüderschule vereint wurde. Im Ergebnis entstand hier das bedeutende Kiewer Kolleg.

Metropolit Petro Mohyla verwirklichte in Kiew eine Synthese von europäischem Bildungssystem und orthodoxer Kirchlichkeit. Das Kiew-Mohyljansker Kolleg (später: Akademie) war offen für die westliche theologische Methodologie, wofür es oft der Abhängigkeit von der lateinischen Scholastik beschuldigt wurde. Nichtsdestoweniger hatte die Kiew-Mohyljansker Akademie entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der orthodoxen Bildung nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland, Weißrussland und in Südosteuropa.

1688 wurde nach der Unterordnung der Kiewer Metropolie unter das Moskauer Patriarchat das Höhlenkloster zu einer stauropegia der Moskauer Patriarchen, d. h. es war ihnen direkt unterstellt. Im Jahre 1721, als das Moskauer Patriarchat durch Zar Peter I. aufgelöst wurde, wurde das Höhlenkloster dem Heiligen Synod in Petersburg untergeordnet. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts waren die Kiewer Metropoliten Äbte des Klosters, das sie von Stellvertretern im Rang von Archimandriten verwalten ließen.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts blieb das Kloster eines der Hauptzentren des Mönchtums im Russischen Imperium. Nach dem Stand von 1918 gehörten der klösterlichen Bruderschaft 784 Mönche an, und mit den Arbeitern betrug die Anzahl der Klosterbewohner mehr als 1.200 Menschen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert herrschte auf dem Klostergelände rege Bautätigkeit; in dieser Zeit erhielt es sein heutiges Aussehen.

Zusammenbruch und Wiedergeburt

Nach dem Zusammenbruch des Russischen Imperiums und der Wiedererrichtung des Moskauer Patriarchats (1917) wurde überlegt, das Höhlenkloster wieder in seine alten Rechte einzuführen. Im Ergebnis führte der Moskauer Patriarch Tichon 1924 die stauropegia des Klosters wieder ein. Von nun an mussten die Archimandriten von den Mönchen des Klosters gewählt und anschließend vom Moskauer Patriarchen bestätigt werden. In den zwanziger Jahren entstand seitens des sowjetischen Staates jedoch ein massiver Druck auf die Kirche. 1929 wurde das Kloster geschlossen, auf seinem Gelände errichtete man ein historisch-kulturelles Museumsgebiet, das sich allmählich zum wichtigsten Museumszentrum der Ukraine entwickelte.

Am 3. November 1941, als Kiew von deutschen Truppen besetzt war, wurde die Hauptkirche des Klosters, die Maria-Himmelfahrts-Kathedrale, gesprengt. Bis heute ist es unklar, wer die Explosion vorbereitet und ausgeführt hat: Nach einer Version geschah dies durch das deutsche Militär, nach einer anderen war es der sowjetische Untergrund. Wie dem auch sei, die Zerstörung der Kathedrale war ein schwerer Verlust für die ukrainische Kultur. Die alten Ziegelmauern, Fresken, Ikonen und andere Heiligtümer der Kathedrale waren zerstört; viele Grabstätten, die sich in der Kathedrale befunden hatten, gingen unwiederbringlich verloren.

In den Jahren der deutschen Besatzung erlebte das mönchische Leben auf dem Klostergelände seine Wiedergeburt. Als die Sowjetmacht 1944 nach Kiew zurückkehrte, hatte das Kloster zunächst noch Bestand und wurde erst 1961, als unter Nikita Chruschtschow eine neue Welle von Verfolgung über die Kirche hereinbrach, erneut geschlossen.

Zum zweiten Male wiedergeboren wurde das Kloster 1988, als man die 1.000-jährige Taufe der Rus groß feierte. Seit jener Zeit setzt sich das mönchische Leben im Kloster nun schon durch drei Jahrzehnte ununterbrochen fort. Seit 1990, als die Ukrainische Orthodoxe Kirche durch den Patriarchen von Moskau den Status der Selbstverwaltung mit den Rechten einer weitgehenden Autonomie erhielt, ist das Kiewer Höhlenkloster den Kiewer Metropoliten unterstellt. Seit 1992 befindet sich im Kloster die Residenz des Vorstehers der Ukrainischen Orthodoxen Kirche. Im Jahre 2000 wurde die Maria-Himmelfahrts-Kathedrale des Klosters wiedererrichtet, die seit der Zeit nicht nur seine Hauptkirche ist, sondern auch die Kathedralkirche der Kiewer Metropoliten.

Seit 1994 steht Archimandrit (heute: Metropolit) Pawel (Lebid) dem Kiewer Höhlenkloster vor. Heute sind der Nutzung des Klosters alle Gebiete der so genannten Unteren Lawra überlassen (das Gebiet der Nahen und der Fernen Höhlen sowie auch das Gelände des Gästetrakts). Auf dem Gebiet des Oberen Klosters befindet sich das nationale historisch-kulturelle Museumsgebiet des Kiewer Höhlenklosters. Nach einer Übereinkunft mit dem Museum führt man in der Kathedrale und in der Refektoriumskirche des Oberen Klosters regelmäßig Gottesdienste durch.4

Heute leben im Kloster über 200 Mönche. Außerdem befinden sich auf dem Gebiet des Klosters die Residenz des Metropoliten von Kiew und der ganzen Ukraine, die Büros der Synodalabteilungen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, die Kiewer Geistliche Akademie und das Seminar. Auf diese Weise ist das Kloster heute nicht nur ein Kloster, sondern auch das wichtigste Verwaltungszentrum der Ukrainischen Orthodoxen Kirche.

Aber das Kiewer Höhlenkloster ist nicht einfach nur ein kirchliches Verwaltungszentrum, es ist vielmehr das wahre Herz der Orthodoxie in der Ukraine. Das Kloster ist bemüht, seine alten Traditionen zu bewahren. Heute ist es auch ein Platz der Askese für viele Mönche und ein Inbegriff des Gottesdienstes sowie ein Zentrum geistlicher Bildung. Vom Kloster geht ein starker geistlicher Einfluss auf die ganze Ukrainische Orthodoxe Kirche aus. Das geistliche und kulturelle Erbe des Kiewer Höhlenklosters zu verstehen und zu erfassen, ist eine zentrale Aufgabe, die weltliche Gelehrte und orthodoxe Theologen gemeinsam zu lösen anstreben. Nichtsdestoweniger bewahrt die Geschichte des Klosters auch heute eine Vielfalt von Aufgaben und ungelösten Fragen.

Deutsch von Friedemann Kluge.


Fußnoten:


  1. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kiewer_Höhlenkloster#/media/Datei: Lavra_panorama-kijev.jpg (Autor: I. Parfeniy)↩︎

  2. Das Foto wurde freundlicherweise von Hierodiakon Isaac Ponomarev (Informationsabteilung des Höhlenklosters) zur Verfügung gestellt. ↩︎

  3. „Lawra“ (aus dem Altgriechischen) ist ein Ehrentitel für ein besonders wichtiges und bedeutendes Kloster der Russischen Orthodoxen Kirche. ↩︎

  4. Ausführliche aktuelle Hinweise zur Anlage finden sich unter https://lavra.ua/en/ (in englischer Sprache). ↩︎