Der vergiftete Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo
Zusammenfassung
Bis heute trennen die kosovarische und die serbische Gesellschaft Welten. Es gab zwar immer wieder Verhandlungen zwischen Kosovo und Serbien, die zu leichten Fortschritten geführt haben. Aber immer wieder passiert etwas, das die Menschen die Hoffnung auf eine Normalisierung der Beziehungen und einen langfristigen Frieden zwischen den beiden Ländern verlieren lässt.
Ein Theaterstück über Macht und Gewalt
Ein Transporter aus Priština, der Hauptstadt des Kosovo, hält vor dem Theater „Atelje 212“ in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Eine gemischte Crew aus Kosovo-Albanern und Serben ist damit beschäftigt, die Requisiten für ein Theaterstück namens „Balkan Bordello“ abzuladen, das von dem in Priština lebenden Autor Jeton Neziraj verfasst wurde. Die gemeinsame Produktion zwischen Kosovos alternativem „Teatri Qendra“, dem Belgrader Theater „Atelje 212“ und dem Theater „La MaMa“ aus New York basiert auf der Trilogie „Orestie“ des Aischylos aus der griechischen Mythologie. Es erzählt die Geschichte einer Familie auf dem Balkan – eine Geschichte von Macht und Gewalt, die in einem Hotel spielt, von Warlords handelt und von Leid, das aus autoritärem Verhalten erwächst. „Unser Agamemnon ist eine Art Avatar der Balkanpolitik und der Kommandanten, die unser Leben geprägt haben“, sagt dazu Neziraj in einem Interview. „Wir wollten eine allgemeine Geschichte daraus machen, mit der sich jeder identifizieren und in der jeder seinen eigenen Avatar erkennen kann.“
Serbien und Kosovo haben bisher keinen Weg gefunden, ihre Probleme im Dialog zu lösen. Die frühere serbische Teilregion erklärte am 17. Februar 2008 ihre Unabhängigkeit, die von einer Mehrheit der Staaten weltweit anerkannt wird. Die Europäische Union (EU) hat seither in Brüssel einen Dialog zwischen Priština und Belgrad eingeleitet, der die Probleme rechtsverbindlich beilegen und für beide Länder einen Weg in die EU ermöglichen soll. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo jedoch nicht an und widersetzt sich ihr derart scharf, dass etwa zwanzig Länder die bereits vollzogene Anerkennung widerrufen haben. Der Dialog läuft seit mehr als zehn Jahren, aber die Konflikte und Spannungen zwischen Kosovo und Serbien halten unvermindert an, insbesondere im Nordkosovo, wo mehrheitlich Serben leben. Ein kosovarisches Theaterstück wie „Balkan Bordello“ ist in Serbien ungewöhnlich. Es ist auch erstaunlich, dass die Inszenierung in Belgrad ohne Polizeischutz durch hunderte Beamte stattfinden kann. In Serbien und im Kosovo gibt es fast keine Verbindungen zwischen den beiden Gesellschaften. Die Kultur ist einer der wenigen Bereiche, in denen etwas passiert, hauptsächlich durch den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen.
In der Hauptlobby des „Atelje 212“ ist inzwischen alles für den Spielbeginn vorbereitet, wobei die Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen selbstverständlich ist. Kurz bevor die Schauspieler die Bühne betreten, kommen zwei serbische Polizisten mit einem Spürhund. Er soll eine mögliche Bedrohung durch Sprengstoff aufspüren, falls jemand das Stück wirklich nicht mögen sollte. Erst danach können die Schauspieler die Bühne betreten, wenn sicher ist, dass keine Bombe vorhanden ist. „Einmal hatten wir ein Stück, bei dem es im Publikum mehr Polizisten als normale Zuschauer gab“, sagt der Autor und Regisseur Neziraj. Die Künstler beider Länder hätten zwar keine Probleme, zusammen zu arbeiten, allerdings hätten einige nach dem gemeinsamen Projekt mit Folgen zu rechnen, weil politischer Druck ausgeübt werde.
Eine Politik gegenseitiger Nadelstiche
Erst im Herbst 2021 haben Kosovo und Serbien beinahe wieder einen neuen Krieg begonnen. Der schleppende Dialog in Brüssel ließ vieles unklar und fast zwei Drittel der beschlossenen Vereinbarungen wurden niemals umgesetzt. Das belastet das Verhältnis zwischen beiden Staaten und behindert den Dialog.
So ordnete Kosovo an, dass serbische Autos nur mit einem temporären Kennzeichen ins Land fahren durften – Fahrzeuge mit serbischen Kennzeichen wurden gestoppt. Die Regierung in Priština rechtfertigte diese Maßnahme als Reaktion für die seit 2008 in Serbien geltende Vorschrift, Kennzeichen aus dem Kosovo nicht anzuerkennen.
Diese „Politik der Nadelstiche“ führte im seit 1999 geteilten Nordkosovo zu Straßenblockaden der serbischen Bewohner, die dort mehrheitlich leben. Spezialeinheiten der kosovarischen Polizei rückten daraufhin an, um die Straßen frei zu halten. Die serbischen Bewohner errichteten jedoch Barrikaden und gaben nicht nach. Berichte, wonach einige Serben von der Polizei verprügelt worden seien, verschärften die Spannungen zusätzlich. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić versetzte die Armee in Kampfbereitschaft, einige serbische Panzer tauchten an der Grenze auf und Kampfjets flogen nahe der Grenze zum Kosovo – das erste Mal seit der Bombardierung Serbiens bzw. der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien durch die NATO im Jahr 1999. Diesmal reagierte die EU schnell und vermittelte eine Vereinbarung, wonach die nationalen Symbole in den Autokennzeichen beider Seiten mit weißen Aufklebern abgedeckt wurden.
Serbien wiederum beklagt, dass Kosovo einen Teil der Vereinbarung zur Finanzierung eines Verbands von zehn Gemeinden mit serbischer Bevölkerungsmehrheit im Kosovo nicht umgesetzt habe. Das kosovarische Verfassungsgericht hat dieses Abkommen für rechtswidrig erklärt, obwohl der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borell, ausdrücklich gefordert hatte, es umzusetzen. Ernüchtert bemerkte er Anfang Dezember 2021 nach einem Treffen mit Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti in Brüssel: „Ich habe von keiner Seite die Bereitschaft zu neuen Treffen gesehen.“
An den Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien hat sich auf politischer Ebene nicht viel geändert. Serbien verweigerte Ministern aus dem Kosovo mehrmals die Einreise und Kosovo zahlte mit gleicher Münze zurück. Serbien ließ kein Handballspiel des Kosovo auf serbischem Boden zu und hielt die kosovarische Boxmannschaft dreimal an der Grenze auf, um deren Teilnahme an der AIBA-Boxweltmeisterschaft (Amateur-Boxweltmeisterschaft der Herren) im Herbst 2021 in Belgrad zu verhindern. Auf der anderen Seite hinderte Kosovo einige Male Sportler und Politiker aus Serbien an der Einreise.
Handel und Austausch trotz politischer Differenzen
Kosovo und Serbien treiben zwar miteinander Handel, aber der größte Teil der Waren wird von Serbien in den Kosovo exportiert. Was im Kosovo hergestellt wird, gelangt aufgrund von Verwaltungsvorschriften und wegen des Herkunftsorts selten nach Serbien, nicht zuletzt wegen der Aufschrift „Republik Kosovo“.
Dennoch gibt es auch Austausch: Bürger des Kosovo können aufgrund eines Freizügigkeitsabkommens nach Serbien reisen. Sie nutzen auch Flughäfen in Serbien und reisen oft zum „Medizintourismus“ nach Belgrad, um sich dort behandeln zu lassen. Negative Zwischenfälle hat es in den letzten Jahren kaum gegeben, doch bleibt eine gewisse Unsicherheit, da sich die Situation je nach politischer Entwicklung schnell ändern kann. Das Wort „Krieg“ wird in Tageszeitungen häufig erwähnt, die Kriegsrhetorik ist leider nach wie vor ziemlich lebendig.
Viele Serben reisen trotz der unsicheren Gesamtlage durch den Kosovo, um in Albanien ans Mittelmeer zu gelangen. Dieses neue Reiseziel wurde während der Pandemie populär, weil anderswo strikte Einreisebeschränkungen galten. Interessant ist auch, dass Serbien mit dem Bau einer 76 Kilometer langen Autobahn von Niš im Süden des Landes bis zur Grenze zu Kosovo begonnen hat, die mit westlichen Krediten und EU-Geldern finanziert wird. Die „Autobahn des Friedens“ wird das Projekt genannt, das zu den Lieblingsprojekten von Präsident Vučić zählt. Ihre Fertigstellung wird allerdings noch einige Jahre brauchen – und ein klarer Plan für das künftige Verhältnis zwischen Kosovo und Serbien ist ebenfalls nicht erkennbar. Der Dialog geht zwar weiter, aber oft scheint es, als seien die beteiligten Seiten nicht wirklich daran interessiert, das Problem zu lösen. Serbien beharrt auf mehr Rechten für die serbische Minderheit im Kosovo und besteht darüber hinaus grundsätzlich auf Respekt gegenüber seinen Interessen. „Es ist nicht möglich, dass eine Seite alles gewinnt und die andere nichts bekommt“, sagt Präsident Vučić in seinen Pressekonferenzen.
Licht am Ende des Tunnels? „Wir wollen, dass ein Dialog mit der gegenseitigen Anerkennung der Unabhängigkeit endet“ – so lautet eine Erklärung, die der kosovarische Premierministers Kurti ebenso wiederholt wie seine Vorgänger. Am ehesten hätte das Problem im Jahr 2020 gelöst werden können, als man im Weißen Haus in Washington ein festes Datum für ein Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen Serbien und Kosovo festlegen wollte. Damals bestand die Möglichkeit, einen Teil des Nordkosovo mit serbischer Bevölkerungsmehrheit an Serbien abzutreten – im Tausch gegen einen Landstreifen in Südserbien mit überwiegend albanischer Bevölkerung, der an Kosovo angeschlossen werden sollte.1 Es kam jedoch nicht dazu, weil der damalige Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, wegen Kriegsverbrechen angeklagt und im Juli 2020 vor das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zitiert wurde. Am 5. November 2020 trat er deswegen von seinem Amt zurück. Auch der umstrittene Teilungsplan war damit zumindest vorerst vom Tisch.
Nach den Wahlen im Februar 2021 wechselte die Regierung im Kosovo. An ihrer Spitze steht Albin Kurti, ein Politiker, der früher für seine Proteste gegen das Regime von Slobodan Milošević, aber auch für Proteste gegen den Dialog mit Serbien bekannt war. Seit seinem Amtsantritt hat er seine Haltung verändert und setzt sich inzwischen aktiv für Verhandlungen mit Belgrad ein. Ein endgültiges Abkommen zwischen Kosovo und Serbien liegt jedoch immer noch in weiter Ferne. Vermutlich wird erst nach den Wahlen in Serbien im Frühjahr 2022 wieder etwas in Bewegung kommen. Letztlich kann der Konflikt nur mit Engagement und Druck seitens der USA, der EU und anderer westlicher Länder gelöst werden.
Der Krieg zwischen Kosovo und Serbien 1998/1999 hat mehr als 13.500 Tote auf beiden Seiten gefordert, der Aussöhnungsprozess zwischen den beiden Ländern ist äußerst schwierig und langwierig. Die institutionelle Kommunikation bewegt sich leider immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau.
„Es wird immer die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen Kosovo und Serbien geben“, sagt der kosovarische Dramatiker Jeton Neziraj. „Bisher waren die Bemühungen aber nicht aufrichtig, außerdem sind die Probleme der Vergangenheit nicht gelöst. Ich denke, wir brauchen mehr Zeit und mutige Politiker, die über dem Ganzen stehen.“ Außerdem hofft der Regisseur darauf, dass er eines Tages auch keine Bombenspürhunde mehr benötigt, wenn ein Stück zur Aufführung kommt.
Aus dem Englischen übersetzt von Christof Dahm.
Fußnote:
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Zur Grenze zwischen Serbien und Kosovo vgl. auch die Skizze im Beitrag von Dušan Reljić. Zum „Zankapfel“ Nordkosovo vgl. z. B. Stephan Oszváth, https://www.deutschlandfunk.de/fast-alles-ausser-anerkennung-100.html (17.01.2013) und aktuell Volker Pabst, https://www.nzz.ch/international/neuerliche-eskalation-nach-polizeieinsatz-in-nordkosovo-ld.1650217 (13.10.2021). ↩︎