Auf der Suche nach ihrer Identität: Die Serbische Orthodoxe Kirche in Montenegro

aus OWEP 4/2018  •  von Vladislav Puzović

Prof. Dr. Vladislav Puzović ist Professor für Kirchengeschichte an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Universität Belgrad.

Zusammenfassung

Auf dem Gebiet des heutigen Montenegro herrscht ein erbitterter, politisch aufgeladener Streit zwischen der in diesem Land verwurzelten Serbischen Orthodoxen Kirche und den Anhängern einer eigenständigen (autokephalen) Montenegrinischen Orthodoxen Kirche. Der Beitrag zeichnet die Entwicklung des Konflikts und seine Auswirkungen für die Gesellschaft nach.

Geschichte und Strukturen

Auf dem Territorium der Republik Montenegro (von 1992 bis 2006 war Montenegro ein Mitglied der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro; im Jahr 2006 erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit) besteht eine kanonisch anerkannte orthodoxe Kirche. Es geht um die Serbische Orthodoxe Kirche, die in kanonischer Einheit und eucharistischer Gemeinschaft mit allen anderen orthodoxen Kirchen ist. Auf dem Territorium von Montenegro gibt es vier Eparchien (Bistümer) der Serbischen Orthodoxen Kirche. Die Mitte und der Süden (montenegrinische Küste) des Landes fallen unter die Jurisdiktion der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland, die als Metropolie von Zeta durch den heiligen Sava, den ersten Erzbischof der autonomen Serbischen Orthodoxen Kirche, im 13. Jahrhundert gegründet wurde.

Bis 2001 umfasste diese Metropolie auch den Norden von Montenegro. In diesem Jahr wurde die Eparchie von Budimlje und Nikšić wiederhergestellt, die seitens des heiligen Sava im 13. Jahrhundert als Eparchie von Budimlje gegründet worden war. Diese Eparchie umfasst den Norden von Montenegro. Außer diesen zwei Eparchien liegen auf dem Territorium von Montenegro noch Teile von zwei Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche, deren Sitze sich außerhalb von Montenegro befinden. Diese sind die Eparchie von Mileševa, die den nördlichsten Teil von Montenegro abdeckt, und die Eparchie von Zahumlje und Herzegowina, die für drei kleinere Orte im äußersten Südwesten von Montenegro zuständig ist. Aufgrund der Entscheidung des Heiligen Bischofskonzils der Serbischen Orthodoxen Kirche vom Jahr 2004 wirkt in der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland auch der Titularbischof von Diokletien.

An der Spitze der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland steht seit 1990 Metropolit Amfilohije Radović (geb. 1938). Er ist Schüler des heiligen Justin Popović, eines der bedeutendsten serbischen Theologen im 20. Jahrhundert. Metropolit Amfilohije gehört zu den wichtigsten Theologen der orthodoxen Welt am Ende des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts sowie zu den einflussreichsten Bischöfen der Serbischen Orthodoxen Kirche am Anfang des 21. Jahrhunderts. Sein Name ist mit der Wiederherstellung des kirchlichen Lebens von Montenegro in diesem Zeitraum verbunden, das er wesentlich mitgeprägt hat.

Zur Illustration mögen folgende Daten dienen: Im Jahr 1989 gab es in der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland nur 18 Mönche und 20 aktive Priester, während es im Jahr 1999 ca. 100 Mönche und ca. 50 Priester waren. Von 1991 bis 2006 wurden mehr als 100 orthodoxe Kirchen in Montenegro wiederhergestellt oder neu erbaut. Den Höhepunkt der Bauaktivitäten der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland stellt der Bau der monumentalen Kathedrale zur Auferstehung Christi in Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro, dar, die im Jahr 2013 vom Ökumenischen, dem russischen und dem serbischen Patriarchen eingeweiht wurde. Dank der Bemühungen von Metropolit Amfilohije wurde auch das theologische Seminar in Cetinje wiedereröffnet, das die kommunistischen Behörden im Jahr 1945 geschlossen hatten. In Cetinje, der historischen Hauptstadt von Montenegro, befindet sich auch der Sitz der Metropolie.

An der Spitze der Eparchie von Budimlje und Nikšić steht seit ihrer Wiederherstellung im Jahr 2001 Bischof Joanikije Mićović (geb. 1959). Titularbischöfe von Diokletien waren Jovan Purić (2004-2011) und Kiril Bojović (2016-2018). Im Jahr 2018 wurde Metodije Ostojić, der bisherige Abt des Klosters in Cetinje, zum Titularbischof von Diokletien geweiht.

Entstehung und Streit um eine eigenständige Montenegrinische Orthodoxe Kirche

Seit den 1990er Jahren gab es auf dem Territorium von Montenegro Bestrebungen zur Gründung einer so genannten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche, um sie als legitime orthodoxe Kirche in diesem Staat zu etablieren. Diese Idee wurde Anfang der 1990er Jahre von Menschen unterstützt, die denjenigen montenegrinischen politischen Parteien nahestanden, die sich für die staatliche Unabhängigkeit Montenegros bzw. gegen einen Bund mit Serbien einsetzten. Es geht vor allem um politische Unterstützer der linken Parteien, der Liberalen Union von Montenegro und der Sozialdemokratischen Partei von Montenegro, deren Anhänger zum größten Teil keine Verbindung zu Religiosität und Kirche haben. Als Begründung führten sie an, die Autokephale Montenegrinische Orthodoxe Kirche sei zusammen mit der Eigenständigkeit Montenegros von den serbischen Behörden im Jahr 1918 gewaltsam aufgehoben worden, als das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, später „Königreich Jugoslawien“ genannt, gegründet wurde. Als Beweise für die Autokephalie der montenegrinischen Kirche wurden die Verfassung des Heiligen Synods des Fürstentums Montenegro aus dem Jahr 1904 und die Verfassung des Fürstentums Montenegro aus dem Jahr 1905 angeführt. Vor diesem Hintergrund wurde die Metropolie von Montenegro und dem Küstenland als illegitim und als Vertreter der serbischen Besatzer betrachtet; sie wurde als eine Institution bezeichnet, die sich für eine großserbische Hegemonie in Montenegro einsetzt und die montenegrinische staatliche und nationale Identität negiert.

Konkrete Schritte zur Gründung dieser so genannten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche wurden im Jahr 1993 unternommen. In diesem Jahr wurde Antonije Abramović (1919-1996) gegen die kanonischen Vorschriften der orthodoxen Kirche als Oberhaupt der so genannten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt war Abramović ein suspendierter Kleriker der „Orthodoxen Kirche in Amerika“. Er war zuvor in der Serbischen Orthodoxen Kirche zum Mönch geweiht worden und hatte als ihr Kleriker in Jugoslawien und in den USA gewirkt. Nach diesen Ereignissen wurde Abramović zunächst seines Amtes enthoben (1994) und anschließend von seinem Diözesanbischof der Orthodoxen Kirche in Amerika aus der orthodoxen Kirche exkommuniziert (1995). Nachfolger von Abramović war Miraš Dedeić (geb. 1937), ein Kleriker des Ökumenischen Patriarchats, der als Priester in Rom wirkte. Dedeić war zuvor Kleriker der Serbischen Orthodoxen Kirche gewesen, hatte ihre theologische Fakultät in Belgrad besucht und danach Theologie in Rom und Moskau studiert. Er kam im Jahr 1998 als Metropolit Mihailo an die Spitze der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche. Die Bischofsweihe empfing er in Cetinje illegal von Vertretern des schismatischen Flügels der Bulgarischen Orthodoxen Kirche und von einem gewissen Antonio de Rosso, der sich als Begründer der so genannten Italienischen Orthodoxen Kirche vorstellte. Dedeić wurde daraufhin vom Ökumenischen Patriarchat durch einen förmlichen Akt, der vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios am 9. April 1997 unterschrieben worden war, seines Amtes enthoben. Ein Jahr später (1998) sprach das Heilige Bischofskonzil der Serbischen Orthodoxen Kirche das Anathema gegen Miraš Dedeić aus.

Der Klerus der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche besteht aus Klerikern der Serbischen Orthodoxen Kirche, die des Amtes enthoben worden oder wegen verschiedener Verstöße, meist finanzieller Art suspendiert sind.

Die Gründung dieser so genannten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche war eine Herausforderung für die Serbische Orthodoxe Kirche in Montenegro. Deswegen reagierte sie mit der Exkommunikation von Miraš Dedeić, wandte sich aus diesem Anlass aber auch an andere orthodoxe Kirchen. Die Serbische Orthodoxe Kirche beharrt auf dem Standpunkt, dass die Metropolie von Montenegro und dem Küstenland durch die Jahrhunderte die historische Kontinuität in Montenegro sowie die ununterbrochene apostolische Sukzession inne hat, was ein entscheidendes Kriterium für die Kanonizität einer kirchlichen Struktur im orthodoxen kanonischen Recht darstellt. Im Jahr 1918 kam es nach dieser Sicht nicht zur gewaltsamen Abschaffung der montenegrinischen Staatlichkeit und der Autokephalie ihrer Kirche, sondern zum freiwilligen Beitritt von Montenegro in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.

Ein wichtiger Teil der Argumentation der Serbischen Orthodoxen Kirche beruht auf der These, dass die Montenegrinische Orthodoxe Kirche niemals autokephal war. Die Erwähnung von Autokephalie in montenegrinischen staatlichen und kirchlichen Dokumenten vom Anfang des 20. Jahrhunderts war das Ergebnis besonderer historischer Umstände, nicht jedoch eine Folge kirchlicher Rechtssetzung. Die Autokephalie, die Anfang des 20. Jahrhunderts erwähnt worden war, setzte keine Abtrennung von der Serbischen Orthodoxen Kirche voraus, sondern betonte im Gegenteil die Zugehörigkeit der Kirche in Montenegro zur serbischen Kirchenstruktur, die zu diesem Zeitraum in mehreren kirchlichen Einheiten über den Balkan verteilt war. Die Argumentation der Anhänger der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche, dass diese Kirche im 19. Jahrhundert von der Russischen Orthodoxen Kirche als autokephal anerkannt worden sei, wurde vom Moskauer Patriarchat mit dem Hinweis verworfen, dass es in seinem Archiv ein solches Dokument nicht gibt.

Keine der kanonischen orthodoxen Kirchen in der Welt hat die Montenegrinische Orthodoxe Kirche anerkannt. Ihre Strukturen stehen in der Welt der kanonischen orthodoxen Kirchen vollkommen isoliert da, sie unterhält Kontakte nur mit ähnlichen schismatischen Gruppierungen. Konkret bedeutet das, dass alle kanonischen orthodoxen Kirchen der Welt die Serbische Orthodoxe Kirche als die einzige kanonische orthodoxe Kirche in Montenegro anerkennen.

Zuspitzung des Konflikts im Zusammenhang mit der Trennung Montenegros von Serbien

Obwohl diese Kirche in der orthodoxen Welt nicht anerkannt ist, ist ihr Einfluss auf die orthodoxen Gläubigen in Montenegro dennoch bedeutend, und ihre Existenz führt zu permanentem Druck auf die Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche. Anfang der 1990er Jahre, als die damals oppositionellen separatistischen Parteien die Montenegrinische Orthodoxe Kirche unterstützten, war dieser Druck nicht so stark. Tatsächlich gab es gewaltsame Auseinandersetzungen, manchmal auch bewaffneter Art, zwischen den Gläubigen beider Kirchen. Es handelte sich jedoch um isolierte Vorfälle, vor allem in Cetinje. Die staatlichen Behörden von Montenegro unterstützten damals zumeist die Serbische Orthodoxe Kirche, tolerierten gleichzeitig jedoch die Gründung der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche.

Zu Veränderungen kam es in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, nachdem es innerhalb der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten (Nachfolgerin des ehemaligen „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“) Auseinandersetzungen gegeben hatte. In diesem Disput übernahm die von Milo Đukanović geführte Strömung die Macht und setzte sich von der Linie des Präsidenten von Serbien, Slobodan Milošević, ab.1 Bald danach begann sie, Vorstellungen über die Unabhängigkeit des montenegrinischen Staates und über die Emanzipation des montenegrinischen Volkes aufzugreifen. Das führte rasch zur Abkühlung in den Beziehungen zwischen den montenegrinischen Staatsbehörden und der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland bzw. der Serbischen Orthodoxen Kirche. Mit der Stärkung separatistischer Tendenzen in der montenegrinischen Staatsführung verstärkte sich die Haltung der Serbischen Orthodoxen Kirche, oft verkörpert in der Persönlichkeit des Metropoliten von Montenegro und dem Küstenland Amfilohije, wonach es notwendig sei, den gemeinsamen Staat von Serbien und Montenegro zu bewahren.

Der Wandel in der Politik der montenegrinischen Staatsführung zeigte sich in einer stärkeren Förderung der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche. Ein konkretes Ergebnis dieses Wandels wurde im Jahr 2000 sichtbar, als die Montenegrinische Orthodoxe Kirche im Polizeirevier in Cetinje offiziell registriert wurde. Dadurch wurde dieser Organisation gewissermaßen vom montenegrinischen Staat Legitimität verliehen. Als sich der Moment der Entscheidung über das staatliche Schicksal von Montenegro in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts näherte, wurden die Beziehungen zwischen den montenegrinischen Behörden und der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland immer schlechter. Die montenegrinischen Behörden unterstützten immer offener die Montenegrinische Orthodoxe Kirche, was sich u. a. dadurch zeigte, dass sie seit dem Jahr 2000 vom Staat finanziell gefördert wurde, und zwar mit der gleichen Summe wie die Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro.

Metropolit Amfilohije setzte sich auf der anderen Seite für die Bewahrung des gemeinsamen Staates mit Serbien ein. Aus diesem Grund warfen ihm die montenegrinischen Staatsbehörden vor, er untergrabe die montenegrinische Staatlichkeit, negiere die montenegrinische nationale Identität und stütze sich auf den jugoslawischen Präsidenten und späteren Premierminister Vojislav Koštunica. Dadurch wurde das Thema der Kirche in Montenegro zu einem Teil des politischen Diskurses, es wurde aber auch zum wichtigen Teil des Identitätsdiskurses in Montenegro. In der öffentlichen Debatte in Montenegro wurde immer öfter die montenegrinische Identität mit der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche identifiziert, während die serbische Identität mit der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro in Verbindung gebracht wurde.

Die Stellung der Serbischen Orthodoxen Kirche im unabhängigen Montenegro

Einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den Behörden von Montenegro und der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro stellt das Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros im Jahr 2006 dar. Von diesem Zeitpunkt an kam es zu einer weiteren Verschärfung der Beziehungen zwischen den Behörden und der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro, weil dadurch auch der Rechtsstatus der Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro fraglich geworden ist.

Seit der Unabhängigkeitserklärung intensivierte sich in den politischen Machtstrukturen von Montenegro die Wahrnehmung der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro als einer Organisation, die die Interessen eines anderen Staates (Serbien) vertritt, welche den Interessen Montenegros oft entgegengesetzt sind. Als Argument wird meistens angeführt, dass der Sitz dieser Kirche außerhalb Montenegros in einem anderen Land, nämlich in Belgrad (Serbien), liegt. Deswegen beharrten die Staatsbehörden von Montenegro immer mehr darauf, dass sich die Metropolie von Montenegro und dem Küstenland und die Eparchie von Budimlje und Nikšić in Montenegro registrieren lassen sollten, ebenso wie die Montenegrinische Orthodoxe Kirche. Das Argument der erwähnten Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche gegen diese Forderung war die historische Tatsache der jahrhundertlangen Kontinuität der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland auf dem Territorium von Montenegro sowie die staatsbildende Rolle bei der Gründung des montenegrinischen Staates, weil die Cetinjer Metropoliten über Jahrhunderte auch die Staatsoberhäupter von Montenegro waren (während der Zeit der Theokratie in Montenegro, besonders im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts).2

Die Forderung nach einer Registrierung wird andererseits als paradox angesehen, weil eine solche Registrierung entsprechend dem Gesetz über den Rechtsstatus der Glaubensgemeinschaften aus dem Jahr 1977, das durch die kommunistischen Behörden von Montenegro verabschiedet worden war, verlangt wird. Die Weigerung der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro, sich nach den Vorschriften des kommunistischen Gesetzes aus dem Jahr 1977 registrieren zu lassen, bereitete ihr viele ernsthafte Probleme. Der Eigentumsanspruch der Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche an den Kirchen in Montenegro wurde infrage gestellt. Aus den Kreisen der montenegrinischen staatlichen Behörden wird immer häufiger und intensiver verlangt, alle bis 1918 errichteten Kirchen den Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro wegzunehmen und sie dem montenegrinischen Staat zu übergeben, unter dem Vorwand der Eigentumserstattung von konfiszierten Kulturgütern von Montenegro. Diese Forderungen wurden, unterstützt durch staatliche Strukturen, von Angriffen der Anhänger der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche auf die Kirchen der Serbischen Orthodoxen Kirche begleitet. Nach dem gleichen Prinzip wurde auch der Rechtsstatus des Klerus der Eparchien der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro, der nicht aus Montenegro kommt, infrage gestellt.

Die Gründung einer einheitlichen unabhängigen orthodoxen Kirche in Montenegro wurde seit 2011 zum Teil der Programme der regierenden politischen Parteien in Montenegro. Im Programm des wichtigsten Koalitionspartners der montenegrinischen Regierung, der Demokratischen Partei der Sozialisten, wird angegeben, dass eine solche Kirchenstruktur verpflichtet werden soll, die montenegrinische staatliche, nationale und kulturelle Identität zu beachten und zu fördern. Im Programm des kleineren Partners der früheren montenegrinischen Regierung, der Sozialdemokratischen Partei, steht, dass es nötig sei, die historische Ungerechtigkeit zu beseitigen, die mit der gewaltsamen Annexion von Montenegro im Jahr 1918 begangen wurde, und die bis zu diesem Jahr errichteten Sakralbauten in das Eigentum von Montenegro zu überführen. Im gleichen Jahr (2011) sagte der Parteichef der Demokratischen Partei der Sozialisten, Milo Đukanović, die Metropolie von Montenegro und dem Küstenland sei nicht im Einklang mit den staatlichen Interessen von Montenegro, weil sie als Vertreterin einer ausländischen Kirche die montenegrinische staatliche Unabhängigkeit nicht wohlwollend akzeptiere. Daher schlug er die Gründung der unabhängigen Kirche in Montenegro vor. Diese Atmosphäre löste eine Initiative aus, die Tätigkeit der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro zu verbieten, was das Verfassungsgericht von Montenegro im Jahr 2012 jedoch ablehnte.

Der Entwurf eines Grundlagenvertrags zwischen der Serbischen Orthodoxen Kirche und Montenegro, der von der Metropolie von Montenegro und dem Küstenland der montenegrinischen Regierung im Jahr 2012 vorgeschlagen wurde und der sich nach dem Muster eines zwischen Montenegro und dem Vatikan 2011 abgeschlossenen Vertrages richtete, um die Verhältnisse zu regeln und zu entspannen, wurde von der montenegrinischen Staatsführung abgelehnt. Das Ergebnis der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Montenegro und der Serbischen Orthodoxen Kirche spiegelt sich in der Aussage des serbischen Patriarchen Irinej Gavrilović Mitte 2018 wider, in der er den Status des serbischen Volkes und der serbischen Kirche in Montenegro mit dem Status der Serben im nazistischen „Unabhängigen Staat Kroatien“ im Zweiten Weltkrieg verglich, wo unter anderem versucht worden war, eine Kroatische Orthodoxe Kirche zu gründen. Diese Aussage des serbischen Patriarchen löste scharfe Reaktionen der montenegrinischen staatlichen Behörden aus.

Im Schatten des Kirchenkonflikts bleibt die Frage der Perspektive der Orthodoxie in Montenegro bestehen. Während der kommunistischen Zeit des jugoslawischen Staates (1945-1990) war der Prozess der Atheisierung gerade in Montenegro am radikalsten, sodass einige Orte umgangssprachlich „kleines Moskau“ genannt wurden. Obwohl 72 Prozent der Bevölkerung von Montenegro sich mit dem orthodoxen Glauben identifizieren, ist der prozentuale Anteil der Gläubigen, die regelmäßig am kirchlichen Leben (vor allem an der Liturgie) teilnehmen, drastisch niedriger. Die Identifizierung mit der Orthodoxie stellt eher ein Resultat der Wiederbelebung vorkommunistischer Traditionen dar als ein reales kirchliches Leben der Gläubigen. Die Eröffnung der Identitätsfrage in Montenegro (serbisches oder montenegrinisches Montenegro), die eng mit der Kirchenfrage verbunden ist, erschwert zusätzlich die Perspektive der Orthodoxie in Montenegro.

Aus dem Serbischen übersetzt von Pavle Aničić.


Fußnoten


  1. Vgl. zum Folgenden auch den Beitrag von Vedran Džihić (S. 261f. der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  2. Vgl. dazu den Beitrag von Konrad Clewing (S. 255f. der gedruckten Ausgabe). ↩︎