Belgrader Straßenhelden

aus OWEP 1/2022  •  von Gemma Pörzgen

Gemma Pörzgen ist die Chefredakteurin von „OST-WEST. Europäische Perspektiven“.

Zusammenfassung

In Belgrad sind Wandbilder mit großflächigen Gesichtern ein verbreitetes Phänomen. Viele sollen an Verstorbene oder Prominente erinnern, aber ein Graffito von Kriegsverbrecher Ratko Mladić hat Empörung ausgelöst.

In der Belgrader Innenstadt sorgt seit Monaten ein großes Wandbild des wegen Kriegsverbrechen verurteilten bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić für Aufregung. Der Streit um das Bild fand internationale Aufmerksamkeit.1 In zahlreichen Ländern berichteten die Medien darüber, wie entsetzte Aktivisten versuchten, das Bild zu beseitigen und Anhänger das Bild mit Schutzlack überstrichen und bewachten. Die Hauswand in der Njegoševa Straße 38 ist inzwischen geradewegs zum Symbol für die nicht aufgearbeitete serbische Geschichte geworden. Mladić sitzt im Gefängnis in den Niederlanden. Im Juni 2021 war in letzter Instanz bestätigt worden, dass der 78-Jährige für immer in Haft bleiben wird. Das Wandbild war offenbar eine Reaktion seiner Anhänger auf das Urteil.

Verstorbenen-Galerie an Häuserwänden

Das umstrittene Graffito ist in Stil und Machart nur eines von vielen in der serbischen Hauptstadt. Viele Abbildungen dieser Art sind vor allem ein Nachrufphänomen und erinnern an Verstorbene. Stadtsoziologen sehen sie in einem Zusammenhang mit der in Serbien verbreiteten Tradition, Todesanzeigen mit dem Foto der Verstorbenen auf Haustüren und Laternenmasten zu kleben.

Beispiel für eine Todesanzeige (Copyright: Gemma Pörzgen)

Vor allem im Altstadtviertel Dorćol begegnen einem in vielen Gassen ähnliche Wandbilder mit großflächigen Gesichtern von Hooligan-Anführern, Fußballstars, Musikern oder Halbwelt-Helden als fragwürdige Zeugnisse einer Art Heldenkult.

Der 1985 verstorbene Zoran Radmilović zählte zu den bekanntesten Filmschauspielern Jugoslawiens. (Copyright: Gemma Pörzgen)

Musiker Eddy Grant dankt dem Sprayer

Eddy Grant im Fußballtrikot (Copyright: Gemma Pörzgen)

Hin und wieder spiegelt sich darin auch die Rivalität zwischen den beiden Fußballclubs „Partizan“ und „Roter Stern“. So wird beispielsweise der britische Musiker Eddy Grant im Trikot eines Vereins abgebildet. Im Sommer 2020 bedankte sich der in London lebende Popstar sogar mit sehr persönlichen Worten in einem Video für das ihm gewidmete Wandbild. „Vielen Dank an den Sprayer, der sich die Zeit genommen hat“, sagte er und betonte seine enge Beziehung zu Serbien. Das Bild habe ihm während der Pandemie besondere Freude bereitet.

In Serbien sehr populär: Diego Maradona (Copyright: Gemma Pörzgen)

Auch der 2002 verstorbene britische Punkrockmusiker Joe Strummer von der Band „The Clash“ findet sich an einer Belgrader Hauswand, ansonsten fungieren überwiegend Einheimische als Motiv. Die Wandgemälde werden aufgesprayt, meist in schwarz-weiß gehalten, sind selten farbig. Die Zeitschrift „Nin“ beobachtete, dass sich ihre Zahl über die Jahre immer mehr gesteigert habe. Einige der Graffiti sind sogar Auftragsarbeiten, für die Angehörige und Freunde bezahlen, um die Erinnerung an bestimmte Personen im Stadtviertel wach zu halten.

Joe Strummer (Copyright: Gemma Pörzgen)

Fast immer sind Männer zu sehen, Graffiti von Frauen wie der serbischen Schauspielerin Tanja Bošković oder der serbischen Jazz-Ikone Nada Knežević sind eher die Ausnahme. Bei diesen Wandbildern ist es selten, dass sie übermalt werden.

Tanja Bošković (Copyright: Gemma Pörzgen)

Die Stadtverwaltung und die Hausverwaltungen lassen sich davon offenbar nicht weiter stören.

Nada Knežević (Copyright: Gemma Pörzgen)

Fußnote:


  1. Zum Streit um das Bild von Ratko Mladić vgl. auch die Hinweise im Beitrag von Jelena Đureinović (mit Abbildung), S. 39 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎