Das serbische Manhattan an der Save
Zusammenfassung
In Belgrad entsteht ein neues Stadtviertel mit luxuriösen Hochhäusern am Flussufer der Save. Kritiker machen seit Jahren gegen das „Waterfront-Projekt“ mobil und erheben Korruptionsvorwürfe.
Von der historischen Festung Kalemegdan bietet sich ein weiter Ausblick über Belgrad und hinab zu den beiden Flüssen, die an dieser Stelle zusammenfließen: die Donau und die Save. Die beiden Ströme verleihen der serbischen Hauptstadt ein südländisches Flair, doch die architektonische Gestaltung des Flussufers entlang der Save spaltet seit Jahren die serbische Öffentlichkeit.
Seit Jahren ist hier eine der größten Baustellen Europas: Entstehen soll einmal das neue Luxusviertel „Waterfront“. Fertig ist bisher nur eine Fußgängerpromenade, die im heißen Belgrader Sommer kaum Schutz vor der Sonne bietet. Es sind nur wenige Bäume gepflanzt, die Schatten spenden könnten, und es dominiert der blanke Asphalt. Aber es gibt bereits unzählige Straßencafés, die wegen der Nähe zum Fluss ihr Publikum finden. Unter der Woche verwaist wirkt dagegen das große Einkaufszentrum mit Luxusboutiquen. Einige Belgrader scherzen bereits, hier könne man sich garantiert coronafrei auf einen Kaffee treffen, weil ohnehin alles leer bleibt.

Eine überdimensionierte Dauerbaustelle
Im Hintergrund sind immer noch riesige Hochhäuser im Bau, deren Ansammlung für die Stadt Belgrad mit gerade mal 1,7 Millionen Einwohnern völlig überdimensioniert wirkt. Das Megabauprojekt mit seinen futuristischen gläsernen Bürotürmen erinnert architektonisch eher an arabische Golfstaaten oder das Moskauer Finanzzentrum. Auf 180 Hektar sind hier 5.700 Wohnungen und 2.200 Hotelzimmer geplant. Die Verbindung dieses neuen Viertels zur alten Stadt soll eine Metro möglich machen, deren Bau geplant ist. Französische Firmen bekamen den Zuschlag dafür. Für das ganze Vorhaben muss sogar der Hauptbahnhof verlegt werden.

Für die serbische Regierung ist „Belgrade Waterfront“ vor allem ein attraktives Prestigeprojekt, das die serbische Bauindustrie ankurbeln und der Hauptstadt ein modernes Gesicht geben soll. Das Projekt ist als eine Art „serbisches Manhattan“ gedacht und soll Belgrad zum wirtschaftlichen und touristischen Magneten in der Balkanregion machen. An dem riesigen Bauvorhaben ist das Unternehmen „Eagle Hill“ aus Abu Dhabi beteiligt, das angeblich rund drei Milliarden Euro investiert hat. Doch Genaues weiß in der serbischen Öffentlichkeit keiner, weil die Verträge mit den Partnern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bisher geheim blieben. „Für Journalisten ist es schwer, über das Projekt zu recherchieren“, sagt Bojana Jovanović, stellvertretende Chefredakteurin der Online-Nachrichtenseite „Krik“. „Da ist man schnell in der Sackgasse.“ Das Parlament verabschiedete ein Spezialgesetz, das tiefere Einblicke in die dort laufenden Geschäfte erschwert. „Das riecht nach Korruption, lässt sich aber schwer nachweisen.“
Abriss in Nacht- und Nebelaktion
In den Hochhäusern entstehen vor allem Luxuswohnungen zu unerschwinglichen Preisen. Bisher ist unklar, wie viele davon bisher verkauft wurden. Die Käufer sollen reiche Leute und Parteigänger von Präsident Aleksandar Vučić sein. Auch in der serbischen Diaspora im Ausland wurde um Käufer geworben. „Dabei ist das alles billig gebaut und nicht besonders nachhaltig“, sagt Jovanović.
Für große Aufregung und breite Berichterstattung sorgte vor Jahren vor allem die illegale Räumung des früheren Stadtteils Savamala, der dem Projekt weichen musste. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde in der Nacht des 24. April 2016 das Viertel abgesperrt und zahlreiche Privathäuser einfach abgerissen. Die Polizei reagierte auf die Anrufe der Anwohner nicht, sodass sich das Gerücht schnell verbreitete, die Aktion bewaffneter Schlägertrupps sei von ganz oben abgesegnet worden. Die Regierung widersprach diesen Vorwürfen. Präsident Vučić sprach aber davon, es seien ohnehin nur „illegale Baracken“ beseitigt worden. Allerdings erschien, wie Jovanović erzählt, bei „Krk“ ein Interview mit Marija Mali, der Ex-Frau des damaligen Belgrader Bürgermeisters. Sie behauptete, ihr Ex-Mann habe ihr erzählt, dass er den Räumungsbefehl selbst erteilt habe. Mali beschuldigte ihn, Eigentümer mehrerer Offshore-Unternehmen zu sein und einige nicht gemeldete Immobilien zu besitzen.
Bürgerbewegung leistet Widerstand
Immer wieder kam es seither zu Protesten und Demonstrationen gegen das Megaprojekt. Architekten, Stadtplaner und junge Aktivisten schlossen sich zusammen und gründeten die grüne Bürgerbewegung „Wir geben Belgrad nicht her“, um den Widerstand zu organisieren.
„Viele Belgrader finden die Promenade am Ufer schön und lassen sich davon blenden, das ist verständlich“, sagt der Aktivist Roman Kozma. „Aber wenn wir ihnen erklären, was uns das alles kostet, legt sich das schnell.“ Weil die Medien kaum kritisch berichteten, müsse die Bürgerbewegung sich stärker direkt an die Bevölkerung richten, um sie besser zu informieren.
„Da werden Unsummen von Steuergeld verschwendet“, sagt Kozma über das Bauvorhaben. Er verweist darauf, wie renovierungsbedürftig viele andere Viertel von Belgrad seien, doch da tue die Stadtverwaltung zu wenig. „Die Art und Weise, wie die Stadtentwicklung läuft, ist völlig inakzeptabel.“
Aus dem Protest entstand der Wunsch, selbst in der Lokalpolitik mitzumischen und sich an Wahlen zu beteiligen. „Wir hatten da am Anfang wenig Erfahrung“, sagt Kozma. „Inzwischen sind wir als politische Kraft akzeptiert.“ Die Bürgerbewegung gewinne in Belgrad an Unterstützung und habe bei der kommenden Kommunalwahl im Frühjahr 2022 gute Aussichten.
„Wir sind inzwischen über den Widerstand gegen „Waterfront“ hinausgewachsen“, sagt der Aktivist. „Wir kämpfen für mehr Demokratie, für saubere Luft und für den Umweltschutz, also für bessere Lebensbedingungen.“ Ermutigend ist für die Aktivisten das Beispiel der kroatischen Hauptstadt Zagreb, wo im Mai 2021 die Grünen das Bürgermeisteramt eroberten.
Beim „Waterfront-Projekt“ wird inzwischen weitergebaut. „Das wird noch für das nächste Jahrzehnt eine gigantische Baustelle bleiben“, sagt Kozma. Er fürchtet, dass die Belastungen für den armen Balkanstaat dadurch noch weiter steigen werden.