Hochhäuser als Türme der Gegenwart
Zusammenfassung
Der Architekt Tobias Nöfer hat mit seinem Büro zahlreiche Bauten in Berlin entworfen und gebaut, darunter auch Wohn- und Bürotürme. Neben seinem beruflichen Wirken ist er seit 2019 Vorstandsvorsitzender des Architekten- und Ingenieursvereins zu Berlin-Brandenburg und interessiert sich seit Jahren für Entwicklungen im Osten Europas. Mit ihm sprach OWEP-Chefredakteurin Gemma Pörzgen.
Bauen Sie selbst Hochhäuser?
Wir haben in Berlin zwei Hochhausprojekte im Bau. Das eine ist das Projekt "Upside" in Berlin-Friedrichshain in der Nähe des Ostbahnhofs. Die beiden Wohntürme sind knapp unter hundert Meter hoch. Beide sind schon seit fünf Jahren im Bau und werden 2023 fertig. Außerdem haben wir ein etwas weniger hohes Büro-Hochhaus "Port One" an der Nordspitze der neuen Europa-City am Hauptbahnhof, das gerade Baubeginn hatte. Mich interessiert das Thema aber auch städtebaulich: Ich habe vor einiger Zeit einen Vorschlag für einen Hochhausring für Berlin veröffentlicht, der damals viel diskutiert wurde. Die Berliner Politik hat diesen Vorschlag neuerdings wieder hervorgeholt und unterstützt das teilweise. Dieser stadtbildprägende Ring aus Hochhäusern entlang des S-Bahn-Rings ist ein suggestives Szenario, das auch verkehrstechnisch sinnvoll ist. Die Türme wären die neuen Stadttore zur inneren Stadt.
Was macht für Sie als Architekt den besonderen Reiz aus, Hochhäuser zu bauen?
Ein Hochhaus zu bauen, ist natürlich eine großartige Aufgabe – aber auch eine Herausforderung, die ein ehrgeiziger Architekt gerne annimmt. Jeder hat seine ganz eigene Vorstellung von guter Architektur und seine persönliche Vorstellung davon, was für den öffentlichen Raum richtig wäre. Das mit einem so prägenden Bauwerk zu demonstrieren, hat natürlich einen großen Reiz.
Was ist das Besondere an Türmen oder heute Hochhäusern?
Türme oder Hochhäuser haben aufgrund ihrer Präsenz immer eine besondere Bedeutung für eine Stadt. Sie sind Monumente, die ihre Umgebung stark prägen. Insofern ist es nicht nur ein besonderer Reiz, so einen Turm oder ein Hochhaus zu bauen, es ist auch eine große Verantwortung, weil man damit seine Umgebung ästhetisch wesentlich mehr prägt als man das mit einem Bau tut, der mehr zum Kontext der Stadt gehört.
Weil der Turm stärker herausragt und sich nicht einfügt?
Ein Hochhaus ist immer städtebaulich dominant. Wenn wir als Architekten über Städte sprechen, unterscheiden wir grundsätzlich zwischen den beiden Bautypen, die eine gute Stadt ausmachen, den Monumenten und dem Kontext. Die Monumente sind Kirchen, Bahnhöfe oder Museen, also die öffentlich wichtigen Gebäude, der Kontext ist eben alles andere, in das die Monumente eingebettet sind. Diesen besonderen Bauten wird eine identitätsstiftende Bedeutung zugemessen, die Teil des öffentlichen Bewusstseins wird.
Was ist das Besondere an diesem Streben nach Höhe?
Früher waren die Kirchen auch deshalb die höchsten Gebäude, weil sie eine transzendentale, alle verbindende Bedeutung für die meisten Stadtbewohner hatten. Diese fehlt natürlich zunächst beispielsweise einem Hochhaus eines privaten Nutzers. Deshalb gibt es oft eine Diskussion darüber, ob nicht wenigstens in die Spitze dieses privaten Gebäudes eine öffentliche Nutzung gehört. Wenn der ganze Turm beispielsweise von einer Bank oder für Luxusapartments genutzt wird, dann ist das in gewisser Weise ein Missbrauch, weil Form und Sinn auseinanderfallen. In Berlin ist dieses Problem schon in ein „Hochhausleitbild“ eingeflossen, das Regeln für den Hochhausbau in der ganzen Stadt festschreibt – unter anderem auch eine öffentliche Nutzung in der Spitze. Schon vorher wurde zum Beispiel im Kollhoff-Turm am Potsdamer Platz ganz oben eine Aussichtsplattform einbezogen, die der Öffentlichkeit einen Blick über Berlin ermöglicht. In Moskau gibt es die charakteristischen Sieben Schwestern, das sind die sieben Hochhäuser im stalinistischen Zuckerbäckerstil. Ihre Türme erfüllen jeweils bestimmte Funktionen und dienen öffentlichen Zwecken: Das trifft auf das Außenministerium zu, die Lomonossow-Universität oder die beiden Hotels Ukraina und Leningradskaja, da stimmt also die Form mit der Bedeutung überein.
Türme waren früher vor allem Wehrtürme, Kirchtürme oder Leuchttürme. Heute meinen wir vor allem Hochhäuser, wenn wir von Türmen sprechen, die entweder Büro- oder Wohnbauten sind. Drückt sich darin nicht ein entscheidender Wandel aus?
Es ist eine Zeiterscheinung, dass man heute nicht mehr so stark symbolträchtige Architektur baut, sondern die Funktionalität dominiert. Es gibt also einen stärkeren Zwang, dass man wirtschaftlich nutzt, was man baut. Gleichzeitig werden Türme für Städte auch deshalb wieder wichtiger, weil man gezwungen ist, Platz zu sparen. Das hängt auch damit zusammen, dass man nicht mehr verantworten kann, noch mehr Landfraß zu betreiben und immer größere Flächen zu versiegeln. Deshalb gibt es einen Trend zu ganzen Hochhausvierteln. Auch Manhattan ist entstanden, weil man die Lage in New York maximal ausnutzen wollte.
Warum wollen alle immer höher hinaus?
Da paart sich der Geltungsdrang der Privatwirtschaft mit dem wirtschaftlichen Anreiz. Ein Grundstück ist um ein Vielfaches wertvoller, wenn dort ein Hochhaus gebaut werden kann. Wenn ich da 50.000 Quadratmeter Nutzfläche unterbringe, dann ist das ein ganz anderer wirtschaftlicher Hebel, als wenn es nur 5.000 Quadratmeter sind. Die Gemeinden sind - jedenfalls in Deutschland - für das Baurecht zuständig, und wenn Hochhäuser entstehen sollen, ist umso wichtiger, dass die öffentliche Hand das Konzert der Interessen dirigiert.
Dabei fällt auf, dass in autoritär regierten Staaten wie Russland oder China besonders viele Hochhäuser gebaut werden oder täuscht das?
Das ist bestimmt so. Es gab in den Ländern des ehemaligen Ostblocks in den letzten 30 Jahren ein Erstarken der Privatwirtschaft, die ein starkes Repräsentationsbedürfnis hat. Gleichzeitig können sich Metropolen auch interessant machen, indem sie eine aufwendige Architektur präsentieren. Das ist nicht immer zum Besten des Stadtbildes. Wenn die Gemeinde die Stadtentwicklung nicht im Griff behält, entsteht schnell ein Wildwuchs. Das ist in vielen Städten bereits passiert. Oft entstanden Hochhäuser einfach irgendwo ohne jeden Sinnzusammenhang, nur weil der Bauherr viel Geld und Einfluss hatte.
Was macht denn guten Städtebau aus?
Guter Städtebau will Sinn stiften. In Paris ist beispielsweise das Stadtviertel La Défense aus meiner Sicht städtebaulich gelungen, weil man da an einem festgelegten Punkt massiv in die Höhe gebaut hat – mit einem monumentalen, öffentlich zugänglichen Torbau in der Mitte, der alle anderen Bauten dominiert. Auch Moskau hat mit dem eindrucksvollen Geschäftsviertel Moskau-City mit hohen Wolkenkratzern dicht an dicht um ein Kongress- und Einkaufszentrum herum einen besonderen Ort geschaffen – auch hier eine Zusammenarbeit von Kommune mit der Privatwirtschaft.
Wenn Sie an den Baiterek-Turm in der kasachischen Hauptstadt Astana denken, dann sehen Sie, wie ein autokratischer Herrscher die Monumente einfach befiehlt. Das ist etwas ganz anderes als in der komplexeren Entscheidungsstruktur einer Demokratie, wo die jeweilige Stadt-entwicklung eben auch ein Aushandlungsprozess ist und von Wahlergebnissen abhängt. Je autokratischer ein Staat ist, desto mehr hängt auch eine Stadtarchitektur am Ausdruckswillen eines Autokraten. Dann geht es meist mehr um Architektur als Machtsymbol.
Von hundert im Bau befindlichen Wolkenkratzern werden gegenwärtig 82 in China gebaut. Allein in der Stadt Wuhan sind fünf Gebäude im Bau, die mehr als 400 Meter hoch werden sollen. Turmbau ist also gerade dort angesagt?
In China treffen der Geltungsdrang der Privatwirtschaft und gleichzeitig der autokratischen Regierung mit der Notwendigkeit, Flächen zu sparen auf einzigartige Weise zusammen. Hier hat der einzelne Bürger wenig zu melden, Städtebau und die Architektur werden einfach verordnet. Auch wurden über viele Jahre hemmungslos die Ressourcen verschlissen und der Umweltschutz der wirtschaftlichen Prosperität untergeordnet. Heute wird immer klarer, dass es dabei vor allem darum geht, den Westen zu besiegen. Das geht natürlich insofern schief, weil die Chinesen durch diese Art der Stadtentwicklung in vielen Städten nicht mehr ausreichend Luft zum Atmen haben, was letztlich die politische Stabilität des Regimes gefährdet. Deswegen wird dort jetzt auch mehr an die Umwelt gedacht.
Wie beurteilen Sie die bewaldeten Hochhäuser, die beispielsweise der italienische Architekt Stefano Boeri baut? Er spricht sogar von vertikalen Wäldern, aber ist das wirklich ein ökologischer Turmbau?
Bosco Verticale, so heißen die begrünten Zwillingstürme in Mailand, hat viele Preise gewonnen, weil man auf den Balkonen viele Bäume gepflanzt und damit ein Symbol für die Verheißung grünen Bauens geschaffen hat. Ich sehe das als Architekt allerdings kritisch und halte das eher für einen modischen, zeitgeistigen Einfall. Wenn man sich die Konstruktion ansieht, die für die grünen, feuchten Wände nötig wird, stellt man fest, dass sie technisch extrem aufwendig ist. Sie brauchen, um den Kräften der Natur und der Vergänglichkeit der Baustoffe zu trotzen, sehr viel Edelstahl und andere dauerhafte Materialien, die ungemein energieintensiv herzustellen sind. Denn so eine immerfeuchte Fassade hat ein Dauerproblem. Denn die Feuchtigkeit zerstört auf Dauer die Konstruktion. Das Projekt wird aber wegen seiner simplen und gleichzeitig spektakulären Botschaft weltweit bereits rauf und runter kopiert. Dabei ist es aus meiner Sicht schon bald ein Abrisskandidat oder bestenfalls ein Sanierungsfall und dadurch sicher nicht nachhaltig oder ökologisch. Besser wäre es, in der Stadt ein wirklich nachhaltiges Haus zu bauen und zur Kompensation ein Stück Natur auf dem Land dauerhaft neu zu bepflanzen.