Novi Sad – Die Stadt der Brücken ist Kulturhauptstadt Europas

aus OWEP 1/2022  •  von Gemma Pörzgen

Gemma Pörzgen ist die Chefredakteurin von „OST-WEST. Europäische Perspektiven“.

Zusammenfassung

Das serbische Kulturleben findet 2022 vermehrt Aufmerksamkeit, weil Novi Sad in diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt ist. Obwohl es in der Pandemie für viele Musiker, Schauspieler und andere Künstler eine schwere Zeit war, werden die Spielräume genutzt. Aber politische Einflussnahme ist auch in der Kultur ein Problem.

Eigentlich sollte Serbiens zweitgrößte Stadt Novi Sad schon im vergangenen Jahr europäische Kulturhauptstadt werden, doch wegen der Corona-Pandemie musste das Großereignis verschoben werden. „Doch die Pandemie hat uns auch gezeigt, wie wichtig die Kultur für uns ist“, sagt Nemanja Milenković, Geschäftsführer der Stiftung „Novi Sad Kulturhauptstadt Europas 2022“.

Zum orthodoxen Neujahrsfest am 13. Januar wurde „Novi Sad 2022“ nun feierlich eröffnet und lockt seither Besucher aus ganz Europa in den Norden Serbiens. Zum ersten Mal richtet damit ein Land, das selbst kein EU-Mitglied ist, die Kulturhauptstadt aus.1 Die am Mittellauf der Donau gelegene Stadt mit 340.000 Einwohnern ist die Hauptstadt der Vojvodina, in der neben Serben auch Ungarn, Slowaken und Deutsche leben. Bis 1918 war Novi Sad Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie, was bis heute nicht nur in der Architektur spürbar ist.

Blick auf das Rathaus von Novi Sad (Copyright: V. Velicković)

Die vier Brücken über die Donau sollen auch für die Kulturhauptstadt ihre besondere Symbolkraft entfalten und das Verbindende betonen, sagt Milenković. Während der NATO-Bombardierungen im Krieg 1999 gegen das Milošević-Regime waren die Brücken zerstört worden und wurden erst nach vielen Jahren wieder aufgebaut.

Jetzt soll vor allem die kulturelle Vielfalt im Vordergrund stehen. Dabei kann das Team um Milenković auf zahlreiche Initiativen aufbauen, die in Novi Sad schon seit Jahren erfolgreich sind. So ist das europäische Musikfestival „Exit“ eingebunden, das über die serbischen Landesgrenzen hinaus bekannt und erfolgreich ist. Rund 200.000 Menschen kommen dafür im Juli für gewöhnlich auf die Stadtfestung Petrovaradin – nur 2020 musste es wegen der Pandemie abgesagt werden. Ein Jahr später fand das Festival im Sommer statt.

Schon 2021 gab es in Novi Sad im Rahmen der Kulturhauptstadt einige Veranstaltungen, die trotz Pandemie stattfinden konnten, beispielsweise Konzerte der Musikstudenten in der früheren Seidenfabrik Svilara im ältesten Stadtteil von Novi Sad, Almas. Diese Kulturstätte wurde für das Großereignis nun extra renoviert und wird einer der wichtigsten Veranstaltungsorte sein. In Almas hoffen nun viele, dass die Kultur dem ganzen Viertel wieder mehr Leben einhauchen wird.

Ausnahmezustand traf auch die Kultur

In Serbien haben viele Kulturinstitutionen unter der Pandemie gelitten. Es gab im Frühjahr 2020 zeitweise Ausgangsbeschränkungen in einem harten Lockdown, der auch die Kultur schwer traf. „Theater, Kinos und Veranstaltungsräume waren alle zu“, sagt der Leiter des Goethe-Instituts in Belgrad, Frank Baumann.

Einige Kulturleute versuchten, ins Internet auszuweichen, aber oft fehlte ihnen das Geld für professionelle Online-Formate und die technische Ausrüstung. Das Goethe-Institut versuchte deshalb, solche Projekte zu unterstützen, und stellte Fördermittel bereit. Profitieren konnte davon beispielsweise das größte regionale Kulturportal „SEEcult.org“, das über wichtige Kulturereignisse wie Theaterpremieren, neue Ausstellungen, Lesungen, Konzerte und Festivals informiert.

Anders als in Deutschland gab es kaum staatliche Soforthilfe für die Künstlerinnen und Künstler. „Wir wurden zwar alle schnell geimpft, aber es fehlte an Unterstützung für die Kultur“, sagt die Journalistin Vesna Milosavljević, die das Kulturportal betreibt. Für die Regierung habe Kultur ohnehin einen geringen Stellenwert, denn im Staatshaushalt sei dafür weniger als ein Prozent vorgesehen.

Schwer zu kämpfen hatte auch das Kulturzentrum „Parabrod“ in der Altstadt von Belgrad. „Unsere Gehälter wurden zwar von der Stadtverwaltung weiter gezahlt, aber wir bekommen kein Geld für das Kulturprogramm“, erzählt der Leiter Janko Laćnjevac. „Das muss über die Eintrittspreise und Vermietungen finanziert werden.“ Das Kulturzentrum ist ein schöner Altbau, in dem während der Pandemie zeitweise der Ballettunterricht ausfiel, Ausstellungen und Konzerte nicht stattfanden, der Filmvorführungssaal leer blieb. Damit fielen auch die üblichen Einnahmen weg. Obwohl viele Aktivitäten wieder möglich wurden, werden sich einige Bereiche wohl nicht mehr ganz erholen. „Vor allem beim Kino haben wir an Netflix verloren“, sagt Laćnjevac. Das gelte auch für die anderen Filmtheater in der Hauptstadt.

Viel Publikum eingebüßt hat auch das Städtische Museum, das in der früheren Wohnung des Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić (1892-1975) an das Lebenswerk des bedeutenden jugoslawischen Schriftstellers erinnert. „Wir haben zwar wieder auf, aber es fehlen die Touristen in der Stadt“, sagt die Leiterin, die durch die Privaträume führt, in denen das frühere Arbeitszimmer des Autors mit dessen umfangreicher Bibliothek, aber auch viele Fotografien aus dem Leben von Andrić zu sehen sind.

Arbeitszimmer von Ivo Andrić im Städtischen Museum Belgrad (Copyright: Gemma Pörzgen)

Die Regierung setzt auf Prestigeprojekte

Hohe Priorität in der staatlichen Kulturpolitik hatten in den vergangenen Jahren vor allem große Vorzeigeprojekte. So wurde 2018 nach 15jähriger Schließung und großer Renovierung das Serbische Nationalmuseum auf dem Platz der Republik im Herzen der Hauptstadt wieder eröffnet. Es präsentiert seine bedeutende frühgeschichtliche Sammlung im neu gestalteten Erdgeschoß. In den oberen Etagen wird serbische Malerei bis zum 20. Jahrhundert gezeigt.

Das wieder eröffnete Serbische Nationalmuseum (Copyright: Gemma Pörzgen)

Nachdem die frühere Regierung im Kulturleben wenig bewegt hatte, verweisen viele Belgrader gerne auf solche Erfolge der jetzigen politischen Führung. Denn die Eröffnungen waren wichtige Glanzlichter in einem Land, in dem es meist an Geld für die Kultur fehlt. „Eigentlich ist ihnen Kultur ziemlich egal, aber sie stecken viel Geld in Museen und Prestigeobjekte“, sagt die Kulturjournalistin Milosavljević. Präsident Aleksandar Vučić und seine Leute seien Partyleute, die es liebten, sich auf Eröffnungsfeiern sehen zu lassen. „Das ist aber keine nachhaltige Kulturpolitik.“ Das Geld fehle dann für andere Bereiche des kulturellen Lebens. „Kritische Künstler sind sowieso nicht erwünscht.“

Frühgeschichtliche Sammlung im Serbischen Nationalmuseum (Copyright: Gemma Pörzgen)

Diese Erfahrung hat auch Zoran Erić, der langjährige Kurator des Museums für Zeitgenössische Kunst am anderen Ufer der Save gemacht. Der in Neu-Belgrad direkt an der Flusspromenade gelegene Betonbau aus den 1960er Jahren war ebenfalls zehn Jahre geschlossen, bevor er im Oktober 2017 renoviert wieder eröffnet wurde. Lange habe die politische Unterstützung gefehlt, sagt der Kurator. Ein Jahrzehnt lang hätten viele Belgrader keine Erfahrungen mehr mit moderner Kunst gesammelt. „Als wir wieder aufmachten, waren viele Besucher ganz ungeübt, wie sie damit umgehen sollten“, erzählt Erić, der das Museum inzwischen verlassen hat und seit Oktober 2021 als freier Kurator tätig ist.

Nach der ersten Freude über die Wiedereröffnung machte der Kurator die bittere Erfahrung, dass sich die Regierung politisch einzumischen begann. Die Politik versuchte zunehmend, Einfluss auf die Ausstellungen zu nehmen. „Sie betrachten das Museum nicht als unabhängige Institution, sondern wollen es als Instrument für die politische Oligarchie nutzen“, sagt Erić. Streit gab es vor allem um eine große Ausstellung der aus Belgrad stammenden Performancekünstlerin Marina Abramović, die seit Jahren ein Star im internationalen Kunstbetrieb ist.

Ministerpräsidentin Ana Brnabić hatte es sich politisch zum Ziel gesetzt, die Retrospektive „The Cleaner“, die 2019 durch viele europäische Städte tourte, auch in die Heimatstadt der Künstlerin zu holen. Erić hätte dagegen nach eigenen Worten lieber gesehen, dass das Kuratorenteam des Museums eine eigene Ausstellung zusammengestellt hätte, statt für die riesige Summe von mehr als einer Million Euro eine Schau zu „importieren“. „Das war in der Geschichte des Museums ohne Beispiel“, sagt er und verweist darauf, wie knapp die Ressourcen in einem armen Land in Serbien eigentlich sind.

Kunstbetrieb im Park

Auch für das Museum war Corona eine neue Herausforderung: Im Sommer 2021 verlegte Erić deshalb den Ausstellungsbetrieb bewusst in den umliegenden Park, um mit der Pandemie in kreativer Weise umzugehen. Die „Ökologisierung des Museums“ ist für Erić ohnehin ein wichtiges Thema. Nun konnte er mit der Schau von Skulpturen und Objekten im Freien das Thema Ökologie und Kunst gekonnt verbinden.

„Kunst im Park“ mit Zoran Erić (Copyright: Gemma Pörzgen)

Auch das Museum hat wie viele andere Kunstinstitutionen weiter damit zu kämpfen, dass das Publikum ausbleibt. „Wir produzieren alle wieder viel, aber es kommt nur eine kleine Minderheit“, sagt Erić. Viele Leute hätten wegen Corona zu viel Angst, in Ausstellungen oder ins Theater zu gehen, und blieben lieber zuhause. „Viele sind deprimiert und mit ihrem eigenen Leben zu beschäftigt.“


Fußnote:


  1. Die anderen europäischen Kulturhauptstädte 2022 sind Kaunas in Litauen und Esch-sur-Alzette in Luxemburg. Der Titel bietet den Städten die Möglichkeit, ihr Image zu verbessern und ihr Kulturleben europaweit zu präsentieren. ↩︎