Nur noch kleine Inseln der Medienfreiheit
Zusammenfassung
In Serbien hat die Regierung die Medienlandschaft weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Oft sind es regierungsnahe Gefolgsleute, die Zeitungen oder TV-Sender besitzen und auf Linie bringen. Wer unabhängig berichtet und Tabuthemen aufgreift, gerät schnell unter Druck und wird bedroht.
Wer die Redaktion von „Krik“ (Schrei) besucht, findet am Gebäude in der Belgrader Innenstadt keinen Hinweis auf das investigativ arbeitende Journalismus-Projekt. Über den unscheinbaren Hauseingang kommt man in ein Wohnhaus, im vierten Stock weist nur ein winziges Metallschild auf „Krik“ hin. Zehn Journalisten arbeiten in einer schlichten Vier-Zimmer-Wohnung mit kleiner Teeküche, jeder an seinem Laptop. Bojana Jovanović, eine junge Frau im schwarzen Kleid, ist die stellvertretende Chefredakteurin des Netzwerks für die Berichterstattung über Verbrechen und Korruption, das in Serbien den investigativen Journalismus fördert und eine eigene Nachrichtenseite betreibt.

„Unsere Berichterstattung konzentriert sich auf bekannte Persönlichkeiten und Fälle von Korruption“, sagt Jovanović. Schon 2016 sorgte eine Recherche zum Immobilienbesitz von Präsident Aleksander Vučić für Aufsehen. Seither ist das Journalistennetzwerk im Visier der Behörden. Staatsnahe Medien versuchten wiederholt, den Chefredakteur Stevan Dojčinović als „ausländischen Spion“ und angeblichen Oppositionellen zu diskreditieren. „Das war das erste Mal, dass sie ihn so persönlich angegriffen haben“, sagt Jovanović. Seither stehe Dojčinović im Mittelpunkt vieler Attacken.
Die Reichweite von „Krik“ schwankt je nach Thema. Bei skandalträchtigen Geschichten erreiche die Redaktion dank der Ausspielung über soziale Medien auch mal ein Millionenpublikum, so die Journalistin. Dadurch hat die Redaktion inzwischen viel Ärger, es drohen mittlerweile acht Gerichtsverfahren. Dass der Spielraum für die kritische Berichterstattung für „Krik“ immer kleiner wird, zeigte sich überdeutlich im Frühjahr 2021 auf einer Pressekonferenz von Präsident Aleksandar Vučić. Eine Journalistin fragte nach den Verbindungen zwischen Regierung und organisierter Kriminalität. Vučić antwortete nicht, sondern maßregelte die Reporterin öffentlich für ihre Frage. In den nächsten Tagen folgte eine regelrechte Kampagne regierungsnaher Medien gegen „Krik“, bei der die Redaktion beschuldigt wurde, selbst mit der organisierten Kriminalität unter einer Decke zu stecken. Es gab sogar Todesdrohungen auf der Facebookseite von „Krik“ mit dem Aufruf, die investigativ arbeitenden Journalisten zu erschießen.
Solidaritätserklärungen kamen vor allem aus dem Ausland: Die US-Journalistenorganisation „Committee to protect journalists“ (CPJ) in New York forderte eine unabhängige Untersuchung der „Schmierkampagne“. „Regierungsbeamte und Politiker der Regierungspartei sollten investigativ arbeitende Journalisten ermutigen, statt sich an ihrer Diskreditierung und Beschimpfung zu beteiligen“, kritisierte CPJ. Auch die EU-Vertretung in Belgrad und einige Botschafter ermahnten die Regierung.
Ausländische Unterstützung unter Generalverdacht
„Das war eine gefährliche Situation für uns“, sagt Jovanović. Die Redaktion habe auch Angst gehabt, in die gewaltsamen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Mafia-Clans zu geraten. Außerdem ziehen solche Medienkampagnen schnell weite Kreise. „Es gibt noch aus der Milošević-Zeit ein Grundmisstrauen gegenüber NGOs“, sagt die Journalistin. Dass „Krik“ zu 90 Prozent von der Europäischen Union (EU) und ausländischen Stiftungen finanziert werde und Mitglied bei internationalen Journalistenorganisationen wie des „Global Investigative Journalism Networks“ ist, bestätige bei vielen Leuten in der Bevölkerung einen verbreiteten Generalverdacht gegen ausländische Unterstützung. Auch Informanten seien stärker auf der Hut, sich an „Krik“ zu wenden.
Viel Rückhalt finden die Investigativ-Journalisten dennoch bei ihrer Leserschaft, die sie mit Spenden tatkräftig unterstützt. „Wir sind Pioniere des Crowdfunding in Serbien“, sagt Jovanonvić. Trotz der Pandemie würden zehn Prozent der Einnahmen auf diese Weise erzielt. Die Journalisten hoffen, dass Serbien nicht dem russischen Beispiel folgen wird und Medien offiziell als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt werden, wenn sie ausländische Förderung erhalten. Noch sei die Lage nicht so schlecht wie in Russland oder Belarus, wo die Machthaber die Medien inzwischen vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben, sagt Jovanović. „Vučić hat nicht so viel Macht und Unabhängigkeit wie Putin.“ Die Regierung wolle sich unverändert auch mit der EU und den USA gutstellen. In Brüssel gilt die Lage der Medienfreiheit in Serbien als beunruhigendes Demokratiedefizit und Hinderungsgrund für die weitere Annäherung an die EU. Die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien wie „Krik“, die Traditionszeitschrift „Vremje“, die Zeitung „Danas“ oder das „Balkan Investigative Reporting Network“ (BIRN) sind inzwischen nur noch kleine Inseln der Medienfreiheit.
Serbien ist in den vergangenen Jahren in der Rangliste der Pressefreiheit stark zurückgefallen: Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) sieht das Land auf Platz 93 von 180. Seit Jahren kritisiert RSF, dass der Medienmarkt zu stark konzentriert sei und der Staat als größter Geldgeber und Werbekunde zu viel Einfluss auf die Berichterstattung ausübe. Es seien monopolartige Strukturen entstanden, in denen regierungsfreundliche Unternehmer die Medien kontrollierten, rügte RSF schon 2017 in einer größeren Untersuchung der undurchsichtigen Besitzverhältnisse in der serbischen Medienlandschaft.1
Mehr Sendezeit für die Regierung
„Gekaperte Medien sind das größte Problem in Serbien“, findet auch der Belgrader Politologe Nikola Burazer.2 So gehören die meisten Massenmedien in Serbien inzwischen regierungsnahen Personen, darunter fast alle Tageszeitungen und die vier privaten TV-Sender mit landesweiter Reichweite. Die Regierung finanziert außerdem loyale Medien.
Die staatliche Dominanz in der Medienlandschaft spiegelt sich darin wider, dass Vučić und seine Regierung in der Berichterstattung überrepräsentiert sind, kritisiert die EU. So dokumentierte die EU-Kommission in einem Bericht, dass die Regierungspartei von Juni 2020 bis Juli 2021 rund 93 Prozent der Sendezeit in den landesweiten Nachrichtensendungen einnahm und überwiegend positiv dargestellt wurde. Die Opposition habe nur sieben Prozent der Sendezeit bekommen und das in einem negativen Kontext. Während des Ausnahmezustands wegen der Corona-Pandemie 2020 sei Vučić in den Nachrichtensendungen 147-mal präsenter gewesen als der meist beachtete Oppositionsführer. „Das sind dramatische Zahlen, aber noch schlimmer ist, dass es keine Mechanismen gibt, um diese Situation zu verbessern, solange dieses Systems des Kaperns von Medien existiert“, beklagt Burazer. Dazu passt, dass zum Jahreswechsel in Belgrad bekannt wurde, dass der serbische Unternehmer Boban Rajić die angesehene Zeitung „Politika“ kauft. Sie ist die älteste noch erscheinende Zeitung des Landes und galt lange als führendes Blatt. Rajić gilt als enger Gefolgsmann der Regierung. Belgrader Medien berichteten, er erwerbe für acht Millionen Euro zunächst die privaten Anteile an der Zeitung, die ungefähr die Hälfte des Kapitals ausmachen, und dann die andere Hälfte staatlicher Anteile. Doch solche Geschäfte bleiben meist undurchsichtig. Rajić hatte 2019 bereits die Boulevardzeitung „Novosti“ für 2,5 Millionen Euro gekauft. Seine Firma „Media 026“ soll erst ein Jahr zuvor mit einem Startkapital von umgerechnet 98 Eurocent gegründet worden sein. Das Geld für den Kauf soll er sich auf Umwegen von staatlichen Firmen zum Spottpreis besorgt haben.
Telekom als Akteur auf dem Medienmarkt
Die serbische Telekom ist einer der wichtigsten Spieler auf dem Medienmarkt und gehört ebenfalls mehrheitlich der Regierung. Ihr Kabelnetz expandiert und die Kunden haben darüber keinen Zugang zu regierungskritischen Medien. Diese Konstruktion wurde möglich, weil die Regulierungsbehörde REM ebenfalls nicht unabhängig agiert, schreibt Burazer, der darin auch einen der Gründe sieht, warum die Regierung den Zugang zu Medien so stark dominiert.
„Die gekaperten Medien“ sind häufig für regelrechte Desinformationskampagnen verantwortlich, kritisiert Burazer. Eine besondere Rolle spielten dabei die Boulevardzeitungen „Informer“, „Srpski telegraf“, „Kurir“ und „Alo“, die eine klare regierungsnahe Linie vertreten. Eine Studie des EU-Parlaments beklagt, dass die Berichterstattung in den serbischen Medien dadurch oft einen EU- oder NATO-feindlichen Tenor annehme. Russland und China hingegen würden überwiegend positiv dargestellt.3
In seiner Studie „Russische Medien auf dem Balkan“ analysiert der Journalist Thomas Brey, warum der serbische Medienmarkt zum Einfallstor für russische Propaganda geworden sei.4 Weite Teile der serbischen Bevölkerung seien davon überzeugt, Russland sei der engste und wichtigste Wirtschaftspartner, obwohl zwei Drittel der serbischen Exporte in die EU gehen, die auch bei den Direktinvestitionen in Serbien vorne liege. In solchen sehr verbreiteten Fehlwahrnehmungen der Wirklichkeit zeige sich nach Einschätzung des langjährigen Leiters des dpa-Büros in Belgrad, dass der mediale Einfluss aus Russland bereits eine große Rolle spiele. Zu einer gesteuerten Meinungsbildung trage ebenso die serbische Version des russischen Auslandssenders „Sputnik“ bei, weil dessen Nachrichten meist ungeprüft übernommen und abgeschrieben werden.

Dass verfälschende Berichte aus dem Ausland, auch aus den Nachbarstaaten, die gängige Sichtweise in der Bevölkerung immer stärker prägen, hängt auch damit zusammen, dass die serbischen Medien keine unabhängige Auslandsberichterstattung mehr haben. Korrespondenten in anderen Ländern kann sich keine Redaktion mehr leisten. Nicht zuletzt deshalb kreist die Berichterstattung vor allem um Ereignisse im eigenen Land.
Wenig Interesse an Balkan-Berichterstattung
Aber auch umgekehrt spielt in den deutschen Medien eine regelmäßige Auslandsberichterstattung aus Serbien nur noch eine Nebenrolle. Während früher zahlreiche deutsche Auslandskorrespondenten in Belgrad akkreditiert waren und von dort aus über ganz Südosteuropa berichteten, erledigen das heute überwiegend die in Wien akkreditierten Korrespondenten nur noch nebenher mit.
Der freie Auslandsreporter Thomas Roser ist heute der einzige deutsche Korrespondent, der für die Tagespresse regelmäßig aus der serbischen Hauptstadt berichtet. Er deckt für Regionalzeitungen wie die „Stuttgarter Zeitung“ oder die „Frankfurter Rundschau“ die gesamte Südosteuropa-Berichterstattung ab. „Die Region hat einen Bedeutungsverlust erlebt“, sagt Roser. „Außerdem fehlt heute der Austausch mit den Kollegen.“ Außer ihm berichtet der serbische Journalist Andrej Ivanji, der als Redakteur bei der Belgrader Wochenzeitung „Vreme“ beschäftigt ist, für die „taz“ und den Mitteldeutschen Rundfunk. Auch die serbische Journalistin Danja Antonović arbeitet noch für deutsche Medien.
Selbst die Nachrichtenagentur dpa hat ihr Büro in Belgrad geschlossen und erledigt die ganze Balkan-Berichterstattung von Budapest aus. „An den Geschehnissen in Serbien gibt es nur noch ein sehr punktuelles Interesse“, sagt Roser. Zuletzt sei die Aufregung über ein Mladić-Graffito in der Belgrader Innenstadt groß gewesen.5 Angesichts der geschätzten vier bis fünf Millionen Menschen, die in Deutschland leben und ihre Wurzeln im früheren Jugoslawien haben, wundert sich der Balkan-Korrespondent, dass die Heimatredaktionen die Themen aus Serbien und der Region so vernachlässigen.
Fußnoten:
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Reporter ohne Grenzen: Media Ownership Monitor (MOM) 2017; https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mom/projektlaender/serbien (Link mittlerweile inaktiv!). ↩︎
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Nikola Burazer: Media Capture – An Increasing Threat to Serbian Democracy. In: Südosteuropa-Mitteilungen 61 (2021), H. 2-3, S. 29-38. Der Begriff „Media Capture“ beschreibt das Phänomen, wie unabhängige Medien unter die Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Kreise geraten und die unabhängige Berichterstattung dadurch eingeschränkt wird. In vielen Staaten ist das eine Entwicklung, die an die Stelle staatlicher Zensur getreten ist. ↩︎
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European Parliament’s Committee on Foreign Affairs: Mapping Fake News and Disinformation in the Western Balkans and Identifying Ways of Effectively Counter Them - 23.02.2021653621_EN.pdf). ↩︎
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Thomas Brey: Russische Medien auf dem Balkan. Fallstudie: Wie Moskaus Propaganda Serbien beeinflusst. Hrsg. Friedrich-Naumann-Stiftung 8/2021; https://www.freiheit.org/publikation/russische-medien-auf-dem-balkan (Link mittlerweile inaktiv!). ↩︎
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Abgebildet in diesem Heft im Artikel von Jelena Đjureinović. ↩︎