Das Verhältnis zu Russland: Von der Führungsmacht zum Partner auf Augenhöhe?

aus OWEP 4/2020  •  von Gemma Pörzgen

Gemma Pörzgen ist freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt in Berlin. Sie arbeitet als Autorin und Veranstaltungsmoderatorin sowie in der Redaktion von Deutschlandfunk Kultur. Seit April 2020 ist sie Chefredakteurin von OST-WEST. Europäische Perspektiven.

Zusammenfassung

Ihre Monopolstellung in Zentralasien hat die Kremlführung schon lange eingebüßt. Seit der Unabhängigkeit der fünf früheren Sowjetrepubliken sind die traditionellen Verbindungen zwar immer noch eng geknüpft, aber in Zukunft dürfte es schwieriger werden, für eine jüngere Generation zentralasiatischer Eliten interessant zu bleiben.

Zentralasien war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eng mit dem Russischen Reich verbunden. Auf die russische folgte die sowjetische Herrschaft, die über Jahrzehnte die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der fünf sozialistischen Sowjetrepubliken entscheidend geprägt hat. Bis heute sind die Beziehungen zur Russischen Föderation von dieser gemeinsamen Vergangenheit stark beeinflusst und überall in der Region spürbar geblieben. In Zentralasien spielt die russische Sprache unverändert eine große Rolle, in den Städten ist die russische Architektur sichtbar. Große Teile der Infrastruktur stammen noch aus der sowjetischen Zeit und sehen bis heute so aus.

Mit der Auflösung der Sowjetunion begann in den 1990er Jahren für Zentralasien eine neue Ära der nationalstaatlichen Entwicklung. Seither gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen, wie groß der russische Einfluss in der Region eigentlich noch ist und welche Bedeutung die gegenseitigen Beziehungen heute haben. In einer ersten Phase der Unabhängigkeit schien Zentralasien zunächst für die russische Außenpolitik kaum noch eine Rolle zu spielen. Auch der Handel zwischen Russland und Zentralasien schrumpfte in den 1990er Jahren dramatisch.

Neue Großmachtpolitik in Zentralasien

Spätestens seit dem Beginn der zweiten Amtszeit von Wladimir Putin sprechen Experten jedoch von einer Rückkehr Russlands nach Zentralasien und sehen darin einen Teil der Großmachtpolitik Russlands. Zentralasien ist nach Einschätzung der Politologin Anna Matveeva zu einer wichtigen Bühne geworden, auf der Russland sicherheitspolitische und ökonomische Interessen verfolgt und in einer Mächtekonkurrenz mit China und den USA steht.1 „Putins Rollenmodell und Russlands ‚gelenkte Demokratie‘ kommen den Interessen der autoritären Herrscher Zentralasiens entgegen", schreibt Matveeva. „Allerdings ist ihre Bereitschaft gering, sich einem Moskauer Diktat zu unterwerfen.“ Auch wirtschaftlich entwickelten sich die Beziehungen wieder, vor allem wegen der Gaslieferungen aus Zentralasien nach Russland, die von dort aus nach Europa weiterverkauft werden, und wegen der engen energiepolitischen Verflechtungen.

Zentralasien sei Putins stabilste Region, beschreibt der Experte Maximilian Hess von der britischen Denkfabrik AKE das heutige Verhältnis. Die Beziehungen hätten sich in den vergangenen 20 Jahren unter Wladimir Putin als erstaunlich stabil erwiesen. Der Kreml habe bestehende Beziehungen fortgeführt, aber auch neue Netzwerke mit den Wirtschaftseliten der Länder geknüpft, schreibt der Risiko-Analyst in seiner jüngsten Studie.2

Verbunden ist Russland mit der Region auch durch gemeinsame Mitgliedschaften in Organisationen, die in Deutschland gerade einmal Fachleuten bekannt sind. Dabei ist für Moskau vor allem die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) von zentraler Bedeutung. Sie ist nach russischer Lesart ein Gegenwurf zur Europäischen Union und soll den Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeit zwischen den fünf Mitgliedsstaaten erleichtern. Neben den zentralasiatischen Staaten Kasachstan und Kirgistan gehören dem Wirtschaftsverbund außer der Russischen Föderation bisher nur Belarus und Armenien an.

„Zentralasien hält die Eurasische Wirtschaftsunion zusammen“, urteilt der Berliner Politologe Alexander Rahr, der auch als Berater des russischen Energiekonzerns „Gasprom“ seit Jahren guten Einblick in die außenpolitische und wirtschaftliche Verflechtung mit Zentralasien hat. „Ohne sie wäre das Projekt längst gescheitert.“3 Denn Armenien und Belarus seien als kleinere Staaten für Moskau in dem Prestigeprojekt vergleichsweise bedeutungslos.

Auch für die zentralasiatischen Staaten sei dieser Zusammenschluss durch die Zollunion und den freien Warenaustausch wichtig, urteilt der Regionaldirektor Zentralasien beim Deutschen Ostausschuss, Eduard Kinsbrunner. Für Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan erleichtere es außerdem die Arbeitsmigration der vielen Zentralasiaten, die in Russland arbeiten und deren Einkommen als Rücküberweisung in die Heimat eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben spiele.4 Auch Rahr sieht vor allem Vorteile der Mitgliedschaft: „Die Eurasische Wirtschaftsunion fördert die Regionalisierung.“

In Konkurrenz mit China

Weitaus skeptischer beurteilt der kasachische Politologe Dossym Satpaev die EAWU und betont deren innere Spannungen.5 „Sie funktioniert wie eine Kommunalwohnung, in der es immer Streit um die Küche gibt“, sagt Satpaev. Aus seiner Sicht sind dieser eher formale Zusammenschluss ebenso wie Russland als schwächelnde Wirtschaftsmacht für das aufstrebende Kasachstan nur sehr begrenzt attraktiv. „China ist da schon lange sehr viel wichtiger.“

„Ungeachtet ihres formal ökonomischen Charakters sehen manche in der EAWU ein über die reine Wirtschaftsunion hinausgehendes, politisches Projekt Russlands, um Einfluss auf die ehemaligen Sowjetrepubliken auszuüben“, meint der usbekische Wissenschaftler Jamshid Normatow von der Universität für Weltwirtschaft und Diplomatie in Taschkent.6 Für Russland, das weiterhin nach mehr Einfluss im postsowjetischen Raum strebe, sei jeder Zuwachs eine Art Prestigegewinn. Die usbekische Regierung hatte sich 2020 nach einiger Debatte dafür entschieden, es bei einem Beobachterstatus zu belassen und nicht etwa Mitglied zu werden.

Kritisch beurteilt der Kasache Satpaev auch das Miteinander in der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“, die sich vor allem dem Kampf gegen den politischen Islamismus und Terrorismus widmet, aber auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Darin sind Russland, China und vier zentralasiatische Staaten vereint, nicht aber Turkmenistan. Für ihn ist auch das eher eine formale Hülle, denn eine schlagkräftige Kooperationsgemeinschaft.

Satpaev ist typisch für eine jüngere Generation in Zentralasien, die weniger vom sowjetischen Erbe geprägt ist und zu Russland lieber vermehrt vorsichtige Distanz pflegen will.

Kasachstans ausbalancierte Außenpolitik

Schon der langjährige Staatschef Nursultan Nasarbajew, dessen Leben noch eng mit der sowjetischen Ära und der Moskauer Kremlführung verknüpft war, setzte auf eine „multivektorale Außenpolitik“. Dabei war Nasarbajew selbst noch Teil der sowjetischen Staatsführung in Moskau gewesen und sogar des Politbüros. Dennoch orientierte der sowjetische Funktionär sich nach der Unabhängigkeit vor allem an kasachischen Interessen und versuchte, in den Beziehungen zu allen großen Spielern in der Region eine Balance zu erreichen. So betrieb Nasarbajew eine geschickte Außenpolitik, bei der er gleichermaßen gute Beziehungen zu Russland, aber auch zu den USA, China und zur EU pflegte und Kasachstan in Zentralasien zur bedeutenden Regionalmacht aufstieg.

Russland und Kasachstan verbindet eine mehr als 7.500 Kilometer lange gemeinsame Grenze, an der es große Probleme mit Rauschgiftschmuggel und illegaler Migration gibt. Sie kann nur eingedämmt werden, wenn russische und kasachische Behörden eng zusammenarbeiten.

Nach 1990 verließen immer mehr ethnische Russen das Land, aber viele sind wegen der stabilen wirtschaftlichen Lage längst wieder zurückgekehrt. Russisch hat weiter den Status einer offiziellen Sprache, auch wenn Kasachisch heute Staatssprache ist. Anders als in den Nachbarstaaten spielt auch die russisch-orthodoxe Kirche unverändert eine Rolle im Land. Kasachstan ist weitgehend säkular und der Islam hat eine gemäßigte Anhängerschaft.

Zu echten Misstönen kam es nach der russischen Krim-Annexion 2014 und durch den Krieg in der Ostukraine. Vor allem Äußerungen von Putin, es gebe keine historisch begründete kasachische Staatlichkeit, sorgten damals in Astana für erhebliche Irritationen. Sie weckten bei vielen Kasachen Ängste, ihr Land könnte ein ähnliches Szenario erleben wie die Ukraine. Der Norden Kasachstans sei schließlich einmal Teil Russlands gewesen, sagt Rahr. Bis heute lebten dort in den Dörfern entlang der Grenze sehr viele ethnische Russen. „Russische Nationalisten sehen in diesem Gebiet bis heute einen Teil der ‚Russischen Welt‘“, sagt Rahr. Der liberaldemokratische russische Politiker Wladimir Schirinowski forderte sogar eine Angliederung von Nordkasachstan an Russland.

Aus Sicht von Satpaev werden in Kasachstan die anti-russischen Gefühle stärker. Seit Präsident Nasarbajew 2019 die Macht an seinen Nachfolger Kassim-Jormat Tokajew übergeben hat, werde mehr darüber debattiert, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, der Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten. Andererseits pflegt Tokajew enge Beziehungen zur Moskauer Führung: Seine erste Auslandsreise führte nach Russland.

Mehr Entfremdung und Abgrenzung

Zu einer stärkeren Entfremdung von Moskau könnte auch der demografische Wandel beitragen, erwartet der kasachische Politologe. Während die ethnischen Kasachen früher mit etwa 40 Prozent in der Minderheit gewesen seien, seien sie heute mit geschätzten 70 Prozent der Bevölkerung in der Mehrheit. „Da ist schon längst eine neue kasachische Jugend, die die Sowjetunion nicht mehr kennt, die vor allem kasachisch spricht und patriotische Gefühle hat.“

Der Patriotismus nährt auch den Wunsch nach stärkerer kultureller Abgrenzung. So ordnete Nasarbajew 2017 an, dass kasachische Alphabet von kyrillischen auf lateinische Schriftzeichen umzustellen. Ein Argument für diese Veränderung war, dass die kasachische Sprache sich rasant verändere und in den vergangenen Jahren Tausende von Worte dazu gekommen seien, meist aus dem Englischen. Aber auch der erleichterte Gebrauch von Computer und Internet diente als Argument für den Wechsel. Usbekistan und Turkmenistan hatten sich bereits früher vom kyrillischen Alphabet verabschiedet.

Usbekistan nach der Selbstisolation

Bis 2016 war Usbekistan wirtschafts- und außenpolitisch eines der isoliertesten Länder der Welt. Nachdem Islam Karimow, der erste Präsident nach der Unabhängigkeit 2016 gestorben war, schlug das Land einen neuen Weg der Veränderung ein. Der neue Staatschef Shawkat Mirsijojew begann mit ambitionierten politischen und wirtschaftlichen Reformprojekten und veränderte den bisherigen Kurs gegenüber den Nachbarstaaten, der internationalen Gemeinschaft und damit auch zu Russland. Mirsijojew gilt in Moskau eigentlich als „pro-russischer“ Politiker, scheint aber nach Einschätzung des kasachischen Politologen Satpaev dem kasachischen Beispiel einer „multivektoralen Außenpolitik“ zu folgen und sich auf alle großen Spieler in der Region einzustellen.

Als interessantes Signal werteten viele Beobachter, dass Mirsijojew nach seinem Amtsantritt zunächst die beiden Nachbarländer Turkmenistan und Kasachstan besuchte, bevor ihn erst seine dritte Reise im April 2017 nach Moskau führte.

Wanderarbeiter in russischen Städten

Seit vielen Jahren sind in den russischen Städten, vor allem in Moskau die zentralasiatischen Hilfsarbeiter überall sichtbar. Ihre Zahl wird auf rund drei Millionen geschätzt. Sie arbeiten als Kellner und Putzfrauen in den Hotels, sitzen an den Kassen vieler Supermärkte und arbeiten auf den Baustellen. Sie kommen vor allem aus Usbekistan und Tadschikistan, aber auch aus Kirgistan. In Russland begegnen viele von ihnen einem weit verbreiteten Rassismus. „Sie nehmen jeden Billigjob an und werden ausgebeutet, oft sogar wie Sklaven gehalten“, sagt Rahr. Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und niedrige Löhne in der Heimat treiben viele, vor allem junge Männer, ins Ausland.

Im Verhältnis zu Russland fällt das Machtgefälle der fünf zentralasiatischen Staaten recht unterschiedlich aus. So sind Länder wie Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan schon allein durch ihren Reichtum an Rohstoffen eher auf Augenhöhe mit Moskau als Tadschikistan, das maßgeblich von den Rücküberweisungen seiner Gastarbeiter in Russland abhängt, oder Kirgistan, das auf Energielieferungen aus Russland angewiesen ist.

Vor allem Kirgistan pflegt eine besonders große Nähe zur Moskauer Führung. „Kirgistan ist vermutlich am meisten pro-russisch in ganz Zentralasien“, sagt Satpaev. Die Dozentin für Internationale Beziehungen an der britischen Universität Sussex, Stefanie Ortmann, beschreibt dieses Phänomen als Konzept der „verführerischen Macht“, die eine gefühlte Nähe zu Russland erzeuge.7 „Russische Medien, sowohl Unterhaltungsmedien als auch Nachrichten, werden in Kirgistan weiterhin von großen Teilen der Bevölkerung konsumiert“, beschreibt sie einen der vielen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Ein Fünftel der Bevölkerung seien Arbeitsmigranten in Russland und die Rücküberweisungen machten etwa ein Drittel des kirgisischen Bruttoinlandsprodukts aus.

Kirgistan und Russland – traditionell eng verflochten

Darüber hinaus hänge der kirgisische Staatsmythos bis heute von Verflechtungen mit Russland ab, schreibt Ortmann. So sei es gängige Praxis, in Kirgistan russische Gesetze wortwörtlich zu kopieren. Als Beispiel nennt die Autorin das russische Gesetz gegen die ausländische Finanzierung von NGOs. „Dieses Verhalten wiederum verstärkt die Konvergenz von Rechtsnormen, und damit Russlands verführerische Macht.“ All dies finde sogar Widerhall in der weit verbreiteten Anrufung von Putin im öffentlichen Diskurs. „Wenn nur Putin unser Präsident wäre, dann hätte er bereits eine Lösung gefunden“, sei in Kirgistan häufig zu hören. Ortmann deutet dieses besondere Verhältnis als Reaktion auf die fragilen Machtverhältnisse im Land, die nach einigen Präsidentenwechsel von vielen Menschen als wenig stabil empfunden würden.8

Die kirgisischen Staatseliten zeigten sich deshalb gerne mit russischen Politikern. Vor allem die persönliche Freundschaft zwischen dem früheren kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew (2011-2017 im Amt) mit Putin sei besonders zelebriert worden, schreibt Ortmann. Ob diese „verführerische Macht“ weiter eine lange Zukunft sei dennoch unklar, glaubt Ortmann. Sie verweist auf eine jüngere Generation von Kirgisen, die es eher nach Asien, in die USA oder nach Europa zieht.

Russland verfügt in Kirgistan und Tadschikistan auch über zwei wichtige Militärbasen. In Kirgistan wurde das Gelände für die russische Nutzung im Februar 2020 erweitert und vertraglich festgeschrieben. Dadurch bekommt das Land auch eine höhere Jahresmiete von umgerechnet rund vier Millionen Euro.

Schwindende Rolle Russlands in Tadschikistan

In Tadschikistan hat Russlands über die letzten Jahrzehnte bereits im Vergleich zu früher erheblich an Einfluss eingebüßt, urteilt Hess. China ist heute der wichtigste Handelspartner des Landes und Hauptkreditgeber. Russland war bisher erfolglos dabei, die tadschikische Regierung für eine EAWU-Mitgliedschaft zu gewinnen. Wichtiger Eckpfeiler der Beziehungen ist deshalb die russische Militärbasis, die als größte auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion gilt. Dort befindet sich eine Einheit der russischen Armee mit Panzern und Infanterie. Auch 7.000 russische Soldaten sind dort seit dem Abzug aus Afghanistan 1989 stationiert, deren Anwesenheit durch ein Abkommen bis 2042 festgeschrieben ist. Eine weitere wichtige Verbindung ist die Arbeitsmigration, von der die schwache tadschikische Wirtschaft stark abhängig ist – rund eine Million Tadschiken arbeiten in Russland, weil es an Arbeitsplätzen im eigenen Land mangelt. Die Weltbank gab 2019 bekannt, dass in Tadschikistan die Hälfte der Bevölkerung mindestens drei Monate im Jahr unter der Armutsgrenze lebt. Sollten sie sich eines Tages auch stärker nach China orientieren, dürfte das Verhältnis zu Russland noch weiter an Bedeutung verlieren, so die Prognose von Hess.

Beziehungen zu Turkmenistan

Während Turkmenistan in den ersten Jahren von Putins Amtszeit noch völlig von Russland abhängig war, ist es heute vollständig von der Peking Führung abhängig, schreibt Hess in seiner Analyse der Beziehungen. Dennoch habe Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow im Dezember 2019 Russland öffentlich als einzigen „strategischen Partner“ gewürdigt. Das Verhältnis zwischen Russland und dem ähnlich wie Nordkorea völlig verschlossenen Turkmenistan gilt schon lange als schwierig, bleibt aber weitgehend intransparent. Turkmenistan bleibt allerdings für Moskau interessant, schon weil es weltweit die viertgrößten Gasreserven aufweist und von den Exporten abhängt. Vor einigen Jahren kam es zum offenen Konflikt, als Duschanbe die Gasverkäufe an Russland stoppte und Preise forderte, die der langjährige Partner, der russische Energiekonzern Gasprom, nicht zu zahlen bereit war.

Ausblick

„Russland hat keine klare Strategie gegenüber Zentralasien“, sagt Satpaev über die weitere Zukunft der Beziehungen. Andererseits sehe die Moskauer Führung in der Region immer noch eine wichtige Einflusszone. Satpaev Sicht kritisiert, dass es inzwischen in Russland an Expertise über Zentralasien und echten Fachleuten fehle. „Ich erlebe da eher Dilettanten ohne Sprachkenntnisse“, schildert der kasachische Politologe seinen Eindruck. „Sie haben in Moskau oft eine Haltung wie die Kolonialherren und verhalten sich wie gegenüber früheren Kolonien.“ Das werde zunehmend ein Problem für die gegenseitigen Beziehungen und komme nicht gut an.

In China dagegen, das als Supermacht des 21. Jahrhunderts ohnehin eine immer wichtigere Rolle spiele, gebe es gute Spezialisten für Zentralasien, die eine realistischere Einschätzung politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in der Region einbringen könnten. Russland werde in Zukunft in Zentralasien weiter an Bedeutung und Einfluss verlieren.


Fußnoten:


  1. Anna Matveeva: Traditionen, Kalküle, Funktionen. Russlands Rückkehr nach Zentralasien. In: Manfred Sapper, Volker Weichsel, Andrea Huterer (Hrsg.): Machtmosaik Zentralasien. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2007, S. 277-294. ↩︎

  2. Maximilian Hess: Russia and Central Asia: Putin’s Most Stable Region? Foreign Policy Research Institute, May 2020. ↩︎

  3. Telefoninterview mit Alexander Rahr im September 2020. ↩︎

  4. Telefoninterview mit Eduard Kinsbrunner im September 2020. ↩︎

  5. Telefoninterview mit Dossym Satpaev im September 2020. ↩︎

  6. https://www.laender-analysen.de/zentralasien-analysen/142/usbekistans-potenzielle-mitgliedschaft-in-der-eurasischen-wirtschaftsunion-herausforderungen-und-implikationen/↩︎

  7. https://www.laender-analysen.de/zentralasien-analysen/134/russlands-macht-in-kirgistan-mythos-und-verfuehrung/↩︎

  8. Vgl. zur aktuellen Entwicklung in Kirgistan den Beitrag von Aigerim Turgunbaeva in diesem Heft. ↩︎