Das Leben mit dem Glück. Ein Gespräch mit dem Glücksforscher Nico Rose
Zusammenfassung
Die Pandemie hat nicht nur Schmerz und Leid, sondern auch eine Zunahme an gegenseitiger Unterstützung, Solidarität und Wohltätigkeit gebracht. Das ist die wichtigste Aussage des Ende März erschienenen Weltglücksberichts 2022. Auf Grundlage globaler Umfragedaten wird dort ermittelt, wie Menschen in mehr als 150 Ländern im zurückliegenden Jahr ihr eigenes Leben bewerten. An der Spitze liegt Finnland, auf Platz 14 findet sich Deutschland wieder, das einen Platz zurückgefallen ist. Über die Bedeutung des Glücks für unser Leben hat OWEP-Chefredakteurin Gemma Pörzgen mit dem Psychologen Nico Rose gesprochen.
Was ist eigentlich Glück?
Anders als im Englischen unterscheiden wir im Deutschen nicht zwischen „luck“ und „happiness“. Wenn wir sagen, ich bin glücklich, meinen wir, mir geht es gut. Dabei wäre „luck“ eher ein Zufallsglück und keine Zustandsbeschreibung. Im Deutschen gibt es da keine saubere Differenzierung. Ich bin glücklich oder ich habe Glück – das geht bei uns auf den gleichen Wortstamm zurück.

Ich meide den Begriff Glück eher, weil er sehr unscharf definiert ist. Als Wissenschaftler sprechen wir eher von subjektivem Wohlbefinden. Es gibt inzwischen in der psychologischen Forschung um die 100 verschiedene Wege, Glück zu messen. Eine bevorzugte einfache Art ist es, bei Einzelpersonen zu prüfen, wie viele positive Emotionen jemand hat. So nach dem Motto: Wie gut geht es mir? Gleichzeitig wird die Abwesenheit von negativen Emotionen gemessen. Das wird dann kombiniert mit einer Messung der so genannten Lebenszufriedenheit. Dabei geht es dann mehr um eine rationale Bewertung der Lebensumstände. Daraus lässt sich das subjektive Wohlbefinden ermitteln.
Wie wichtig ist für uns das Glück?
Dass wir glücklich werden wollen und nach Wegen zum Glück suchen, das ist keineswegs nur ein Phänomen der Neuzeit. Die Frage nach dem Glück ist schon sehr alt. Und natürlich ist es legitim, sich damit zu beschäftigen, was ein gutes und gelingendes Leben ausmacht. Schon die antiken griechischen Philosophen haben sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt und sind zu unterschiedlichen Antworten gekommen.
Gibt es auch Irrwege zum Glück?
Man kann sich bei der Glückssuche auch verrennen. Wer glaubt, ausschließlich Konsum und materieller Erfolg führten zum Glück, ist wahrscheinlich auf einem Irrweg. Die Forschung zeigt, dass Geld zwar zu einem gewissen Grad glücklich macht, weil es Freiheiten schenkt. Aber wenn ich mich danach frage, was mich auf Dauer glücklich macht oder wie ich mein Leben ausrichte, dann ist die Antwort doch eine andere.
Es gibt die Redewendung „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Damit wird der Eindruck vermittelt, als sei jeder für sein Glück selbst verantwortlich und hätte es ganz in der Hand. Stimmt das denn eigentlich?
Unser persönliches Lebensglück hängt sehr stark von gewissen Rahmenbedingungen ab. So sind die Menschen in Demokratien im Allgemeinen glücklicher als Menschen in autokratisch geführten Ländern. Die Menschen sind in wohlhabenden Gesellschaften glücklicher als in ärmeren Gesellschaften. Auch ein funktionierendes Rechtssystem und Vertrauen in die Obrigkeit machen die Bevölkerung glücklicher als in Gesellschaften, in denen wenig Vertrauen in den Staat und in die Institutionen vorhanden ist.
In den jeweiligen Staaten, ob nun in Indien oder in Deutschland, sind die Unterschiede auch innerhalb der Bevölkerung sehr groß. Sie sind zwar alle den gleichen Makrofaktoren ausgesetzt, gehen aber damit unterschiedlich um. Die Forschung zeigt, dass die persönliche Einstellung des Einzelnen starke Auswirkungen hat. Jeder kann Zufriedenheit, Glück bis zu einem gewissen Grad kultivieren und daran arbeiten. Das setzt diese Makrofaktoren nicht völlig außer Kraft, aber es gibt einen gewissen Spielraum für das eigene Wohlbefinden.
Manche Menschen sehen das Glas halbleer und andere halbvoll. Welche Rolle spielt so eine Grundhaltung gegenüber dem Leben, die eher positiv oder eben negativ gestimmt ist?
Dazu gibt es zahlreiche Langzeitstudien, bei denen Menschen über Jahrzehnte begleitet und befragt werden. Optimismus, also eine zuversichtliche Grundhaltung, ist tatsächlich hilfreich. Optimistische Menschen leben im Durchschnitt deutlich länger und bleiben länger gesund. Optimismus scheint ein starker Schutzfaktor gegen Herz-Kreislaufprobleme zu sein. Ein Kollege von mir sagt gerne, starker Pessimismus ist ungefähr so gefährlich wie eine Schachtel Zigaretten am Tag. Er kann die Lebenserwartung um mehrere Jahre senken. Wir wissen auch aus vielen Studien, dass optimistische Menschen beruflich erfolgreicher sind. Sie werden in Führungspositionen als bessere Chefs wahrgenommen. Wir wollen lieber von optimistischen Persönlichkeiten geführt werden als von pessimistischen. Optimistische Menschen finden auch leichter einen Partner und sind häufiger verheiratet.
Macht denn Heiraten glücklicher?
Menschen, die vorher schon glücklich waren, finden leichter einen Partner, und deswegen sind verheiratete Paare oft glücklicher als Singles. Aber das liegt nicht daran, dass das Heiraten glücklicher macht, sondern das glückliche Menschen eher zusammenfinden. Optimismus ist so etwas wie ein Schmieröl für die Zukunft. Das gilt für die Belange in einem Unternehmen, aber auch bei der Partnerwahl.
Was ist denn dann Optimismus?
In der Psychologie gibt es zwei verschiedene Konzeptionen davon, was Optimismus eigentlich ist. Es gibt eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass es eine stabile Charaktereigenschaft ist: Menschen werden als Optimisten geboren. Sie sind die geborenen Sonntagskinder, und es gibt die geborenen Miesepeter. Die meisten Leute bewegen sich aber eher im Mittelfeld. Einige tendieren dabei eher zu den Honigkuchenpferden und andere eher zu den Griesgramen.
Nach dieser Vorstellung ist Optimismus eine mehr oder weniger unveränderliche Eigenschaft.
Es gibt aber auch eine Konzeption, die besagt, dass Optimismus eher so etwas wie ein „Mindset“ ist. In der psychologischen Forschung nennen wir das auch Attribution. Wie erkläre ich mir die Welt und was darin passiert? Da wissen wir, dass es einen tendenziell optimistischen und einen tendenziell pessimistischen Attributionsstil gibt.
Da wäre dann auch eine Verhaltensänderung möglich?
Ja, daran kann man auch arbeiten. Menschen mit Depressionen driften beispielsweise langfristig in einen solchen negativen Attributionsstil ab. Ein Teil der Psychotherapie kann darin bestehen, den Klienten beizubringen, wieder einen positiveren, optimistischeren Attributionsstil zu pflegen. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: Wie erkläre ich mir, wenn etwas Negatives passiert? Eine mögliche Antwort wäre, es liegt an mir, beispielsweise ich bin nicht intelligent oder nicht gut genug. Dabei gehe ich davon aus, dass es in Zukunft auch so sein wird. Das ist ein typisches Beispiel für ein pessimistisches Attributionsmuster. Man könnte auch sagen, ich habe mich diesmal nicht gut vorbereitet und beim nächsten Mal mache ich es halt wieder besser. Durch eine solche Sichtweise wird es möglich, etwas zu tun und sich zu wandeln. Dafür gibt es Übungen. Solche Verhaltensmuster hängen oft auch mit frühkindlichen Erfahrungen zusammen.
Was bedeutet das für gesellschaftliche Zusammenhänge und wieviel Einfluss hat die Politik darauf, dass eine Gesellschaft glücklich ist?
Seit 2011 erscheint der „World Happiness Report“, der jedes Jahr von unabhängigen Experten erstellt wird.1 Da finden sich jedes Mal die Länder Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Schweiz auf den vorderen Plätzen. Die skandinavischen Länder liegen dabei verlässlich vor Deutschland, das 2022 auf Platz 14 gelandet ist, und ein Jahr vorher auf Platz 13 war.
Was die Skandinavier besser machen, ist unter anderem, dass es dort weniger Ungleichheit bei der Verteilung von Vermögen gibt. Wenn man ganze Volkswirtschaften miteinander vergleicht und sie wie auf einer Perlenschnur aufreiht, dann sehen wir, dass die reicheren Länder die ärmeren Länder deutlich ausstechen. Aber innerhalb der Volkswirtschaften ist eine relativ hohe Gleichheit gut. Das bekommen die skandinavischen Länder besser hin als Deutschland, Frankreich oder Spanien. Die Gehälter gehen dort bei den sehr reichen Menschen nicht so weit nach oben wie bei uns. Außerdem werden soziale Berufe wie Lehrer, Krankenschwestern oder Pflegekräfte in Skandinavien deutlich besser entlohnt, und es gibt eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung für diese Aufgaben. Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in staatliche Institutionen in skandinavischen Ländern stärker ausgeprägt ist, auch in die medizinische Grundversorgung und Altersversorgung. Die Leute fühlen sich sicherer und gut aufgehoben. Diese Form der sozialen Marktwirtschaft ist ein gutes Rezept, um das Glücksniveau in der Bevölkerung zu heben.
Welche Bedeutung hat Religiosität für das Glück?
Die psychologische Forschung zeigt, dass Religion ein Schutzfaktor ist. Religiöse Menschen leben meistens länger und sind im Allgemeinen glücklicher als Atheisten. Es hat sich aber erwiesen, dass es keine große Rolle spielt, ob jemand an Jesus oder an Allah glaubt. Entscheidender ist, dass der Gläubige seine Religion aktiv mit Leben füllt. Dabei spielt das Eingebundensein in eine Gemeinschaft eine zentrale Rolle und dieses Gefühl, aufgehoben zu sein.
Zu sagen, ich bin religiös und ich glaube an etwas, ist bereits hilfreich. Aber je aktiver und lebendiger ich diese Religion gemeinsam mit anderen Menschen auslebe, desto eher wird es auch eine lebensverlängernde Maßnahme. Ordensschwestern und Mönche erreichen deshalb häufig ein sehr hohes Alter.
Wir alle leben seit mehr als zwei Jahren in der Pandemie. Jetzt ist noch der Ukraine-Krieg dazugekommen mit vielen Ängsten vor möglichen Ausweitungen, die da noch kommen könnten. Das sind große Herausforderungen für das persönliche Glücksempfinden, aber auch für das Glücksversprechen einer Gesellschaft. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Erfahrung von Krisen?
In Deutschland ist die Bewertung der Gesamtlebenszufriedenheit 2021 deutlich nach unten gegangen. Das gilt gleichermaßen für West- und Ostdeutschland. Den Westdeutschen ging es in der Vergangenheit tendenziell immer etwas besser als den Ostdeutschen. Das lag unter anderem an den Einkommensunterschieden. Dieser Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland spielt in der Coronazeit praktisch keine Rolle mehr. Das liegt vermutlich daran, dass viele Möglichkeiten der Selbstentfaltung im Beruf oder bei Reisen stärker eingeschränkt sind. Zuhause herumhocken müssen und nicht mehr das tun können, was einen glücklich macht, wirkt sich aus. Ich sitze beispielsweise gerne im Café und schreibe. Jetzt waren die Cafés einfach eine Zeitlang alle zu. Sich nicht mehr mit anderen Menschen zu treffen, die Kollegen nicht mehr zu sehen, nicht mehr ins Restaurant gehen zu können, das alles hat sich auf unsere Gesamtzufriedenheit natürlich ausgewirkt.
Sind das denn nur negative Erfahrungen?
Da gibt es einmal das Phänomen der Resilienz, einer Widerstandskraft, die sich so beschreiben lässt: Ich bin so biegsam wie ein Bambus. Der Sturm bläst mich um und ich richte mich dann wieder auf und kehre in den Ausgangszustand zurück.
In der psychologischen Forschung hat sich seit den 1990er Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass es auch so etwas wie ein „posttraumatisches Wachstum“ gibt. Damit ist gemeint, dass Menschen nach einer schweren, belastenden Erfahrung, wenn sie sich konstruktiv mit dieser Krise auseinandergesetzt haben, später auf ein höheres emotionales Niveau gelangen können. Sie sagen dann beispielsweise, dass sie neue Stärken an sich entdeckt haben und diese auch weiterhin zur Verfügung haben. Manche Leute gelangen über schwere Krisen auch auf einen spirituellen Pfad und erleben ihr Leben als neu bereichert. Andere sagen, ich habe jetzt ein wenig besser verstanden, was wirklich wichtig ist in meinem Leben.
Hat die Coronakrise auch zu solchen Erfahrungen geführt?
Ich habe im Frühjahr 2020 bereits erste Daten von etwa tausend Personen in Deutschland gesammelt und sie gefragt, wie sich in der Pandemie und mit den ersten Kontaktbeschränkungen ihre Stimmungslage entwickelt hat. Die Mehrheit war nervöser und ängstlicher als vorher. Es gab erkennbar weniger positive Gefühle als noch vor der Coronazeit. Aber viele Befragte haben auch gesagt, dass sie sich wegen der Einschränkungen stärker auf das fokussieren, was ihnen trotzdem noch gut erschien, und auf das, für das sie dankbar waren. Viele haben beispielsweise ihren Garten neu schätzen gelernt oder die Schulplätze für ihre Kinder, als die Schulen geschlossen waren. Da bekam einiges einen ganz neuen Wert.
In meiner Untersuchung habe ich festgestellt, dass es zwischen Dankbarkeit und Resilienz einen Zusammenhang zu geben scheint. Viele Menschen schaffen es trotz großer Belastungen, ihren Blick auf das zu richten, was im weitesten Sinne positiv ist und was ihnen guttut. So gelingt es dann auch besser, langfristig wieder aus der Krise herauszukommen. Wir nennen das gerne WWW: „What went well?“ Schau für dich und mit deinen Leuten, was gut lief. Daraus lässt sich dann wieder Energie ziehen, die uns hilft, mit den Widrigkeiten besser umzugehen. Das empfehle ich auch Leuten im Coaching oder auch bei der Arbeit mit Führungskräften.
Wenn ich mich herunterziehen lasse, dann kann das zu depressiven Verstimmungen führen. Dagegen hilft bewusstes Fokussieren auf das, was eben trotzdem schön und begrüßenswert ist. Es spendet ein gewisses Maß an Energie, die wir in Krisensituationen umso dringender benötigen.
Passt dazu nicht auch diese erstaunliche Welle der Hilfsbereitschaft, die wir gerade in Deutschland im Umgang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine erleben?
Ja, das ist ein Weg, mit der Situation produktiv umzugehen. Viele Leute fühlen sich gerade sehr hilflos angesichts des Ukraine-Krieges. Das ist auch verständlich, denn der Einzelne kann da gerade wenig bewirken. Das ist völlig außerhalb unserer Macht und Möglichkeiten. Umso natürlicher ist es, dass man sich fragt: Was kann ich denn jetzt trotzdem tun? Dieser Wunsch findet Ausdruck in den vielen kleinen Sympathiebekundungen in den sozialen Medien, aber auch in der konkreten Hilfe. Das ist einmal gut für die Empfänger dieser Hilfe, aber auch für uns, weil es ein Weg sein kann, einen Griff auf das Thema zu bekommen.
Aus der Forschung kennen wir ein Phänomen, das wir „Helper‘s High“ (Helferhoch) nennen. Das kommt von „Runner‘s High“. Wenn man beim Marathonlaufen über die Schmerzgrenze kommt, werden Endorphine ausgeschüttet, die wir umgangssprachlich Glückshormone nennen. Die Läufer laufen gefühlt wie auf Drogen durch das Ziel. Daran angelehnt kennt die Forschung eben auch das „Helper‘s High“. Ich zeige mich uneigennützig und helfe anderen Menschen – und kann mich so ein wenig am Licht meiner moralisch guten Tat wärmen. Wir bekommen einen kleinen Glückskick, der natürlich nicht das primäre Ziel gewesen ist. Das finde ich eigentlich eine ganz schöne Dynamik.
Also macht Helfen glücklich?
Wichtig ist dabei, dass man nicht nur in wohltätigen Vereinen unterwegs ist, sondern auch sein eigenes persönliches Glück nicht vergisst. Denn wir alle brauchen viele kleine Glücks- und Genussmomente im Alltag, sei es bei gutem Essen oder Trinken, über Kuscheln oder Sex. Das füllt unseren Lebensmotor wieder mit Energie. Und langfristig stellt sich zusätzlich die Frage, was kann ich für die Gemeinschaft Gutes tun. Ich glaube, dass die Kombination von beidem zu einem gelingenden Leben beiträgt.
Fußnote:
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World Happiness Report: https://worldhappiness.report ↩︎