Vertrauen in die Kraft der Medien
Zusammenfassung
Die Glaubwürdigkeit der Medienberichterstattung wird im Krieg besonders stark auf die Probe gestellt. Das zeigt sich auch derzeit bei der Berichterstattung aus der Ukraine. Angesichts von Propaganda und geschickten PR-Strategien verdient vor allem die Arbeit von Kriegsreportern Vertrauen, die vor Ort Informationen sammeln und Geschehnisse einordnen.
Der Schrecken von Butscha
Die Kriegsberichterstattung gehört zu den besonders schwierigen Herausforderungen für die journalistische Arbeit. Das zeigt sich gerade wieder einmal im Ukraine-Krieg, bei dem der Kampf um die Deutungshoheit von Bildern und Ereignissen eine zentrale Rolle spielt.
Besonders deutlich wurde das nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Stadt Butscha, 25 Kilometer nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Seit Anfang März 2022 hatten dort russische Soldaten den Vorort mit rund 35.000 Menschen besetzt gehalten, sodass ein Zugang erst nach dem Abrücken der Armee rund vier Wochen später möglich wurde. Die Bilder der völligen Zerstörung und von hunderten Leichen in den Straßen der Stadt gingen seither um die Welt und lösten vielerorts Entsetzen über das brutale Vorgehen der russischen Invasoren aus.
Es waren sowohl einheimische wie auch ausländische Journalisten, die Berichte von Augenzeugen, Fotos und Videoaufnahmen in die breite Öffentlichkeit trugen, um das Grauen der Ereignisse zu dokumentieren. Sie waren in Butscha, um sich auf organisierten Touren des ukrainischen Innenministeriums ein Bild von der Lage zu machen, befragten Bewohner und recherchierten vor Ort. Seither gibt es erschütternde Berichte von willkürlichen Erschießungen und Vergewaltigungen durch die russische Armee während der Besatzung der Stadt.
In Russland hingegen wurden alle Vorwürfe als angebliche Propagandalügen zurückgewiesen, ohne dafür nachvollziehbare Belege vorzulegen. Außenminister Sergej Lawrow sprach auf einer Pressekonferenz von einer „inszenierten antirussischen Provokation“ und beschuldigte die ukrainische Seite sogar, die Zivilisten in Butscha selbst getötet zu haben. In den russischen Staatsmedien wurde diese Darstellung aufgegriffen und behauptet, das Kriegsverbrechen sei mit ukrainischen Schauspielern inszeniert worden. Für viele Journalisten vor Ort ist das umso mehr ein Anreiz, den offensichtlichen Propagandalügen in Russland weitere Rechercheergebnisse über die wahren Geschehnisse in Butscha entgegenzustellen. Die US-Zeitung „New York Times“ veröffentlichte am 4. April Satellitenbilder, die bestätigen sollen, dass die in Butscha geborgenen Leichen bereits vor dem Abzug der russischen Truppen in den Straßen gelegen hatten und nicht etwa erst danach, wie russische Medien behaupteten.
Das Beispiel zeigt geradezu exemplarisch, wie Journalisten und Medien besonders im Krieg eine Schlüsselrolle dabei zukommt, Lügen zu entlarven, Fakten zu ermitteln und Ereignisse einzuordnen. Es zeigt aber auch die grundlegend verschiedene Arbeitsweise von Journalisten aus demokratischen Ländern und einem autoritären Regime wie Russland.
Tradition der Staatspropaganda
Traditionell gilt in Russland eine Dominanz der staatlichen Kontrolle über die Medien. Das entstammt noch der sowjetischen Zeit, als die Massenmedien allein den Interessen der Partei- und Staatsführung zu dienen hatten. Die wichtigste Rolle spielt dabei das Fernsehen, das bis heute staatlich kontrolliert wird und für die landesweite Informationsvermittlung entscheidend ist. Wer die russischen Nachrichtensendungen einschaltet, erlebt, wie die Kremlführung das Fernsehen als Propagandamedium nutzt und die Meinungsbildung in der Bevölkerung mit wiederkehrenden Narrativen beeinflusst wird.
Dazu kommt, dass die gezielte Verbreitung von Falschnachrichten Teil einer Strategie der Geheimdienste und des Militärs ist. Das funktioniert auch zum Teil nach dem Motto, es wird schon etwas hängenbleiben, wenn man eine Version verbreitet, die einfach nicht stimmt. Als Erfolg gilt bereits, Verwirrung zu stiften und Unsicherheit darüber zu erzeugen, was nun tatsächlich geschehen ist.
Mit dem Internet hatte sich zwar im letzten Jahrzehnt ein vielfältiges Informationsangebot unabhängiger Online-Medien in Russland entwickelt, in denen professionelle Journalisten teilweise beeindruckende Recherchen und Geschichten ablieferten. Doch deren Reichweite blieb in der riesigen Russischen Föderation vergleichsweise klein und eher auf Bewohner größerer Städte beschränkt, die wissen wollten, was eigentlich vor sich geht. Mit dem zunehmend autoritären Kurs der Kremlführung wurde die Arbeit dieser Inseln der Medienfreiheit aber zuletzt immer weiter eingeschränkt. Seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine sind zahlreiche Online-Plattformen blockiert, um eine kritische Berichterstattung zu unterbinden und den Einfluss der Staatspropaganda auf die Bevölkerung auszuweiten.
Außerdem wurde ein Gesetz verabschiedet, dass bei der Berichterstattung für die Verwendung des Begriffs „Krieg“ drakonische Haftstrafen vorsieht. Die Geschehnisse in der Ukraine sollen nur als „Spezialoperation“ bezeichnet werden. Wichtige unabhängige Informationsquellen wie die Zeitung „Nowaja Gaseta“, der Internetsender „Doschd“ oder der Radiosender „Echo Moskwy“ sind seither verstummt.
Die Suche nach Informationen bleibt möglich
Wer in Russland selbst aktiv wissen will, was wirklich im Ukraine-Krieg vorgeht, greift auf Möglichkeiten zurück, die Internetsperren zu umgehen, und nutzt beispielsweise VPN oder Tor. So lassen sich auch unabhängig berichtende Medien wie die russischsprachige Nachrichtenseite „Meduza“ weiter erreichen. Die Redaktion arbeitet bereits seit 2014 von Litauen aus und ist eine der wichtigsten Informationsquellen über die russische Politik. Eine wichtige Rolle spielen aber auch ausländische Online-Angebote wie die russischsprachige Seite der Deutschen Welle oder der BBC.
Ganz anders als in Russland hat sich in den vergangenen Jahren die ukrainische Medienlandschaft entwickelt. Zwar litt sie darunter, dass ukrainische Oligarchen die Besitzer der wichtigsten Fernsehsender waren und wegen Wirtschaftskrise und Krieg die Geschäftsmodelle der meisten Zeitungen zusammenbrachen. Dennoch sorgte der demokratische Wandel im Land dafür, dass eine neue Journalistengeneration sich stärker an professionellen Standards orientierte und vor allem im Internet neue journalistische Formate erprobte. Die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lief zwar mühselig, schwächte aber den staatlichen Einfluss. Nun gilt derzeit zwar auch in der Ukraine durch den Krieg eine Medienzensur, die vor allem die Verbreitung sicherheitsrelevanter Informationen einschränkt. Dennoch ist diese beschränkte Freiheit der ukrainischen Medien mit der gezielten staatlichen Unterdrückung unabhängiger Stimmen durch die Moskauer Führung nicht vergleichbar.
Die russische Staatspropaganda zielt nicht nur auf die eigene Öffentlichkeit ab, sondern will auch die Regierungen und Wähler anderer Länder zugunsten der eigenen Position mit gezielten Falschnachrichten im Netz beeinflussen, auch in Deutschland. Viele sprechen deshalb auch von einem „Informationskrieg“.
Der Kampf um Vertrauen und Glaubwürdigkeit
Auch die ukrainische Regierung betreibt Kriegspropaganda, setzt aber dabei stärker auf moderne PR-Methoden. Sichtbar wird das vor allem im medialen Auftreten des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der frühere Medienunternehmer und Schauspieler nutzt die sozialen Medien geschickt dafür, die Interessen seines Landes im Krieg zu verdeutlichen. Seit Kriegsausbruch war er mit jeweils an die Begebenheiten der Länder angepassten prominenten Video-Botschaften in zahlreichen Parlamenten präsent.
Beide Kriegsparteien versuchen auf ihre Weise, die internationale Öffentlichkeit auf ihre Seite zu bringen und für die eigene Sichtweise auf den Ukraine-Krieg um Unterstützung zu werben. Dabei ist vor allem entscheidend, wie die nationale Berichterstattung dies jeweils aufgreift und welche Wirkung die unterschiedlichen Medienstrategien entfalten.
In Deutschland dominiert die Berichterstattung aus dem Ukraine-Krieg seit dessen Beginn die Nachrichten und hat seither sogar das bisherige Hauptthema Corona völlig in den Hintergrund gedrängt. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben umgehend auf den Krieg als europäisches Großereignis reagiert und Sendungen wie das Morgenmagazin und Mittagsmagazin täglich auf das Wochenende ausgedehnt. „Tagesschau24“ ist als Nachrichtenprogramm im ständigen Dauereinsatz, und auch die Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften beherrscht seit Wochen das Kriegsgeschehen in der Ukraine.
Berichten vor Ort
Eine zentrale Rolle spielen dabei vor allem bestimmte Reporter, die vor Ort sind und über das Kriegsgeschehen aus erster Hand informieren.
Sehr präsent war beispielsweise die ZDF-Journalistin Katrin Eigendorf, die als frühere Moskau-Korrespondentin schon in den 1990er Jahren aus dem Tschetschenienkrieg und bereits seit 2014 über den Krieg in der Ukraine berichtete. Für ihre mutige Afghanistan-Berichterstattung wurde sie 2021 mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. „Wahrheit“ sei für sie in der journalistischen Arbeit ein fragwürdiger Begriff, sagte Eigendorf aus Kiew zugeschaltet im TV-Sender Phoenix. „Es gibt eine Perspektive auf die Realität, und es gibt Fakten.“ In kriegerischen Konflikten stünden Journalisten mit ihrer Berichterstattung vor dem Dilemma, dass handwerkliche Regeln nur bedingt einzuhalten seien, wenn es beispielsweise darum gehe, zwei unterschiedliche Perspektiven auf den Ukraine-Krieg zu vermitteln. „Wir müssten dann Lügen gegen die Realität präsentieren“, sagte sie unter Hinweis auf die gezielten Falschnachrichten aus Moskau. Deshalb sei es so wichtig, dass Journalisten vor Ort seien und als Augenzeugen fungierten.
Für die Glaubwürdigkeit journalistischer Arbeit und das Vertrauen in eine glaubwürdige Berichterstattung sind Ferndiagnosen in jedem Fall fatal. Die ARD geriet deshalb zu Beginn des Krieges in die Kritik, weil sie zeitweise nicht mit Berichterstattern vor Ort vertreten war und erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder TV-Reporter der ARD im Kriegsgebiet zum Einsatz kamen.
Für die Mediennutzer ist neben den eigentlichen Informationen und Fakten auch zunehmend wichtig, dass die Arbeitsweise möglichst transparent gemacht wird und in die eigentliche Berichterstattung einfließt. So kann sich jeder ein besseres Bild davon machen, wie der Reporter vor Ort an seine Informationen gelangt ist und wie glaubwürdig dabei vorgegangen wurde.